Die Wiedergeburt (German Edition)
Schamane zu sprechen:
„Räche, sagen die Toten. Überlebe!“
„Ojun, wo ist mein Weib Kara, wo sind meine Eltern? Ich will sie sehen!“
„Im Tode sind sie alle gleich, einer gleicht dem and e ren“, bestätigte Ojun Larkyens Vermutung. „Nimm, was immer sich dir bietet – so lautet ihr Rat an dich. Ergreife die G e legenheit. Großes erwartet dich, wenn du groß sein willst. Durch den Willen zur Macht wirst du Macht e r langen und durch den Willen zu ringen, wirst du deine Ziele erreichen. Dann wird eines Tages ein Königreich auf dich warten.“
Larkyens Gedanken überschlugen sich. Die Berü h rungen der Geister nahmen überhand, und beinahe glau b te er, von ihnen emporgehoben zu werden.
Für einen Moment sah er das Land Kentar im Westen. Er sah die steinernen Ufer des grauen Meeres, dessen trübe Oberfläche den Schein der Sonne reflektierte, und die dichten Wälder, die sich über die Hänge erstreckten. Eine von Moos und Gräsern fast vollständig überwachs e ne Straße führte zu einem kuppelförmigen Steinpalast, der einst auf einem Hügel inmitten der Wälder errichtet worden war. Pfeilförmige Zinnen säumten die Kuppel, und wo die schwarzen Banner mit dem weißen Wolfskopf der Kentaren hätten im Wind flattern müssen, ragten nur leere Stäbe empor. Die mächtigen Tore des bogenförm i gen Eingangs waren offen und unbewacht. Stille und Leere herrschte auf den langen Fluren, die zu einem ve r waisten Thronsaal führten ...
Kapitel 4 – Der Ruf des Kriegers
Am nächsten Morgen suchte Larkyen das Gespräch mit Ojun. Der Schamane schien nichts anderes erwartet zu haben, denn noch ehe Larkyen den Mund öffnete, sa g te er: „Die letzte Nacht war sehr wichtig für dich. Manc h mal, wenn wir in unserem Inneren zerrissen sind, kann der Rat eines geliebten Menschen mehr wert sein als alles Gold der Welt. Nun weißt du, dass du nicht allein bist, und du hast den Rat all jener vernommen, die dir von B e deutung sind.“
„Ich konnte sie spüren“, murmelte Larkyen. „Kara und all die anderen. Sie hat mich geküsst … Kara hat mich geküsst ...“ Er lächelte. „Und ich habe Kentar ges e hen.“
„Das Land aus dem du stammst? Du sahst es, weil deine leiblichen Eltern es so wollten. Denn nicht nur der Weg der Rache soll der deinige sein, sondern auch der Weg gen Westen.“
„Was ist mit Kentar geschehen?“
„Wie du weißt, wurde Kentar im Krieg besiegt und das Volk der Kentaren beinahe ausgelöscht. Doch solange es noch einige von ihnen gibt, ist Kentar nicht gestorben. Tarynaar, der Gott der Kentaren, hat den Westen nach der Niederlage verlassen. Doch die schwarzen Wolfsbanner werden eines Tages wieder am Himmel zu sehen sein – wenn du, Larkyen, deine Macht zugunsten deines Volkes einsetzt.“
„Mein Volk“, flüsterte Larkyen nachdenklich. „Es ist alles zuviel für mich. All diese Macht soll mir zustehen und zu all diesen großen Dingen soll ich fähig sein?“
„Du wirst deine eigene Stärke noch erfahren“, sagte Ojun. „Und was dir jetzt noch groß vorkommt, wird dir als angemessen erscheinen, wenn du erst durch deine T a ten gewachsen bist. Beschreite den Weg der Rache und gehe ihn zu Ende, erst dann mache dich auf den Weg nach Westen. Die Zukunft wird dir alle Fragen beantwo r ten.“
Gegen Mittag sah Larkyen einen Reiter auf einem schwarzen Steppenpferd, der mit einem Packpferd im Schlepptau langsam auf die Jurte zuritt.
Der Reiter saß aufrecht im Sattel, mit einer Hand hielt er die Zügel, die andere steckte in einem bis zum Ellb o gen reichenden, dicken Lederhandschuh, auf dem ein Steinadler saß, dessen Kopf mit einer Lederhaube ve r deckt war. Der Greifvogel schien fast ausgewachsen und war so schwer, dass der Reiter seinen Arm durch eine am Sattel befestigte Holzgabel stützen musste.
Als Ojun den Reiter sah, überflog ein Ausdruck der Überraschung sein Gesicht, gefolgt von einem langen Lächeln.
„Khorgo!“ rief er. „Bist du das wirklich? Patryous sei Dank, die Göttin der Reisenden ist dir noch immer hold.“
„Ich grüße dich, Schamane!“ rief der Reiter zurück.
Er war von kräftiger Statur, trug dunkelblaue Trachten und eine breite, mit Fuchsfell gefütterte Mütze. Ein gra u schwarzer Schnauzbart, dessen Spitzen bis zum Kinn reichten, verlieh seinem Gesicht ein markantes Aussehen. An seiner Hüfte baumelte in einer abgenutzten Lede r scheide ein langer Säbel. Die kurze Parierstange formte sich in der Mitte zu einem farbigen Wappen -
Weitere Kostenlose Bücher