Die Wiederkehr des gefallenen Engels
unglaublich, diese Luft zu atmen. Er spürte, wie sein Herz in seiner Brust schlug, fühlte, wie ein leichter Wind über sein Gesicht strich.
Mit all dieser Schönheit kam der Gedanke an den immerwährenden Abschied. Er würde den Frühling nicht mehr erleben, den Sommer niemals sehen. Ein Gedanke spendete ihm Trost: Wenn er starb, starben auch alle Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte mit ihm. Das Nichts würde ihn umfangen, ihn für immer aus diesem Universum tilgen, sodass von ihm nur eine ferne Erinnerung bleiben würde.
Plötzlich spürte er die Anwesenheit eines Engels. Er blickte auf. Vor ihm stand ein Krieger, von dem er geglaubt hatte, er wäre mit den anderen verschwunden. Ein junges Gesicht wandte sich ihm zu, strahlende Augen schauten auf ihn herab.
»Warum verweigerst du dich dem Willen des Himmels?«, fragte Danas.
»Ich habe keine Wahl«, sagte Damian schlicht, erhob sich und klopfte den Schnee von seiner Kleidung.
»Hat man nicht immer eine Wahl?«
»Nicht, wenn man liebt.«
»Du liebst einen einzelnen Menschen. Warum tust du das? Gott hat uns gelehrt, alle Menschen zu lieben.«
»Danas, ich habe mich verliebt, ohne es zu wollen. Vielleicht ist dies mein Schicksal, wer weiß das schon.«
»ER weiß es«, meinte Danas und deutete zum Nachthimmel.
Damian nickte. »Dann will ich glauben, dass alles einen Sinn hat.«
Danas trat einen Schritt näher. »Erzähl mir von der Liebe. Von der Liebe, wie du sie empfindest. Von der Liebe zu einer Frau. Deinem Begehren und deinen Sehnsüchten.«
»Das kann ich nicht. Es gibt keine Worte, um das Gefühl zu beschreiben.«
»Schade, denn ich wüsste gern, was du fühlst, was dir die Kraft gibt, allem zu widerstehen und deine Existenz für einen Menschen zu opfern.«
Damian schwieg, was sollte er auch sagen. Ein Augenblick verging, dann sagte der Engel ruhig: »Du hast Arias getötet.«
Damian war nicht darauf vorbereitet, über diesen dunkelsten Moment seines Daseins reden zu müssen.
»Ja.«
»Er war mein Freund, mein Mentor. Wir saßen auf goldenen Wiesen im Sonnenlicht und sprachen über Dinge, die uns bewegten. Lange Zeit verbrachten wir so und öffneten einander das Herz.« Danas seufzte. »Als Gabriel ihn rief, ihm in die Welt zu folgen, erfüllte ihn Stolz und Vorfreude auf den Kampf. Er war ein großer Krieger.«
»Das war er.«
»Aber du hast ihn getötet.«
»Ich wollte diesen Kampf nicht, er zwang mich dazu. Er erschien als mein Feind und war es dennoch nicht. Als er starb, hielt ich seine Hand und weinte um ihn.«
Eine Träne lief über Danas’ Gesicht. »Du hast um ihn geweint?«
»Wir hätten Brüder sein sollen.«
»Dann lass mich dein Bruder sein«, sagte der Engel.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, raunte Damian.
»Dann lass Schweigen herrschen.« Danas trat vor und legte seine flache Hand auf Damians Brust. »Was immer auch Gabriel sagt. Wenn es so weit ist, werde ich bei dir sein. Das bin ich Arias schuldig.«
Damian war vollkommen verwirrt. Er umfasste mit seinen Händen Danas’ Hand, aber in diesem Moment dematerialisierte der Engel und er war wieder allein.
Noch lange stand er in der Dunkelheit und lauschte Danas’ Worten in seinem Geist.
Was immer auch Gabriel sagt. Wenn es so weit ist, werde ich bei dir sein.
Er war nicht mehr allein.
18.
Sie fuhren durch die kristallklare Nacht. Der Motor des Wagens, ein Sechszylinder, röhrte jedes Mal dumpf auf, wenn Ben Gas gab, aber er übertrieb es nicht, sondern fuhr vorsichtig und sicher. Lara begann, sich zu entspannen. Die Wärme im Inneren des Fahrzeugs machte sie schläfrig und sie schloss die Augen.
So bekam sie nicht mit, wie Ben durch Weißenburg fuhr, um zu einem neuen Club am Stadtrand zu kommen. Es war ein angesagter Treffpunkt für Jugendliche und junge Erwachsene. Leute über dreißig traf man hier selten.
Als Ben den Wagen abbremste und in eine Parklücke vor der Bar fuhr, wachte Lara auf und rieb sich die Augen.
»Oh, ich muss wohl eingeschlafen sein«, meinte sie entschuldigend und fragte dann: »Wo sind wir hier? Was ist das für ein Laden?«
Er lachte. »Das ist das Blue Thunder, sag bloß, du hast noch nie davon gehört?«
Lara schüttelte den Kopf. »Nein, ehrlich gesagt nicht.«
Das permanente Aufflackern des Neonlichtschriftzuges über dem Eingang fiel auf ihr Gesicht, ließ es immer wieder blassblau aufleuchten und wieder im Dunkeln versinken. Lara blickte zu einer Gruppe junger Leute hinüber, die vor dem Club standen und rauchten.
Weitere Kostenlose Bücher