Die Wiederkehr des gefallenen Engels
sagte es nicht unwillig, aber Lara erkannte schnell, dass dieser Junge nicht gern sprach. Schon gar nicht über sich selbst. Aber genau dieser Umstand machte sie neugierig.
»Wie hast du die anderen kennengelernt?«
»Hier. In diesem Laden, ist noch gar nicht so lange her.«
»Woher kommst du?«
Bevor er die Frage beantworten konnte, trat Kevin mit den bestellten Getränken an den Tisch. Er reichte Lara eine Cola.
»Danke.«
Kevin schüttelte leicht den Kopf, so als sei er es nicht gewöhnt, dass man sich bei ihm bedankte. »Kein Problem.«
»Was kriegst du dafür?«, wollte Lara wissen. Sie wollte es den anderen nicht nachmachen und sich unausgesprochen selbst einladen.
»Ist schon okay.« Er lächelte verlegen. »Sieh es als einen Willkommenstrunk an.«
»Danke, das ist nett«, sagte Lara, aber da war er schon weitergegangen und stellte den anderen die Getränke auf den Tisch. Keiner bedankte sich, lediglich Marc nickte Kevin kurz zu.
»Du trinkst nichts?«, wandte sich Lara wieder an Sam.
»Nein.«
»Quatschen ist nicht gerade deine Stärke.«
Er grinste. »Nein.«
»Was machst du sonst so?«
»Nichts.«
»Nichts? Was heißt das? Lebst du von Hartz LV?«
»Du bist ziemlich neugierig.«
»Ja. Und?«
»Was?«
»Was machst du den ganzen Tag?«
»Nachdenken.«
Die Antwort verblüffte Lara. »Worüber denkst du nach?«
Er sah sie an. Eindringlich. Sein rechtes Auge zuckte leicht. »Es gibt etwas, an das ich mich erinnern möchte, aber ich kann nicht. Ein blinder Fleck auf meiner Seele.«
»Du bist ein komischer Kerl«, sagte Lara und bereute es beinahe sofort, als sie sah, dass das bisschen Offenheit augenblicklich aus seinem Gesicht verschwand.
»Das hat man mir schon mehrfach gesagt.«
Lara quälte ein Lächeln auf ihre Lippen. »Sorry, so habe ich das nicht gemeint. Ich wollte …«
Er winkte ab. »Lass gut sein, ich weiß schon, was du eigentlich sagen wolltest.«
Lara forderte ihn mit einer Kopfbewegung auf weiterzusprechen.
»Merkwürdig ist das richtige Wort. Glaub mir, ich finde mich auch merkwürdig, aber solange ich das Rätsel nicht gelöst habe, kann ich nichts anderes tun, nichts anderes denken.«
»Hast du irgendwelche Anhaltspunkte?«
»Nein.« Es war fast ein Flüstern, das vorsichtig aus seinem Mund kroch. Sein Blick schweifte in den Raum, ohne zu sehen. »Und jetzt möchte ich nicht mehr darüber reden.«
Er stand auf und ging zur Theke hinüber. Laras Blick folgte ihm. Sie sah, wie er ein Bier bestellte und sofort aus der Flasche zu trinken begann.
»Lass ihn«, sagte Marc plötzlich neben ihr. Er war aufgestanden und zu ihr herübergekommen. Nun setzte er sich auf den frei gewordenen Stuhl. Sie warf einen Blick zu Ben, aber der unterhielt sich angeregt mit Jessi.
Lara wusste nicht, ob und wie viel Marc von ihrem Gespräch mit Sam mitbekommen hatte, daher fragte sie Marc, wie lange er ihn schon kenne.
»Sam ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Niemand von uns hat ihn jemals zuvor gesehen und plötzlich war er da. Stand an der Theke so wie jetzt und starrte uns an.« Er seufzte. »Ich dachte erst, er wolle Stress machen, also bin ich rüber und habe ihn gefragt, ob er ein Problem habe? Weißt du, was er geantwortet hat?« Marcs Blick forschte in ihrem Gesicht. Lara schwieg gebannt. »Er sagte, er habe ein großes Problem, er könne sich nicht daran erinnern, wer er sei und wo er herkomme. Er fragte mich, ob ich ihn kenne. Mann, ich war so platt von der Frage, ich konnte überhaupt nichts antworten. Seine Hand legte sich auf meine Schulter. Er blickte mich an und ehrlich, mir lief ein Schauer über den Rücken, als er mich fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm ein Bier zu trinken. Es klang, als fragte er mich, ob ich sein Freund sein wolle. Du weißt schon, so wie kleine Kinder fragen. Damals habe ich rumgestottert und gesagt, klar Mann, lass uns ein Bier trinken.«
»Klingt ja fast schon gruselig«, meinte Lara.
»Nein, nein, so war es nicht«, versicherte Marc hastig. »Du hast mich falsch verstanden. Es war intensiv und ein wenig deprimierend, aber irgendwie war es auch in Ordnung.«
»Und die anderen? Wie haben sie ihn angenommen?«
»Das war dann kein Problem mehr. Wenn er für mich okay war, war er das auch für sie. Und so ist es noch heute. Er hängt mit uns zusammen ab, redet nicht viel, aber man spürt, dass man sich auf ihn verlassen kann.«
»Was ist mit ihr?« Lara nickte in Richtung Mona, die nur auf ihren Drink starrte, ohne etwas zu trinken, und an
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