Die Wiederkehr des gefallenen Engels
mal reingehen«, sagte Marc und ging voran.
19.
Drinnen empfing sie eine Wärme, die Lara nach dem Cafébesuch erneut schwitzen ließ. Hier hatte es bestimmt an die fünfundzwanzig Grad und sie trug einen Pullover, mit dem man in Grönland überwintern konnte. Hastig zog sie Mantel und Schal aus und warf sie sich über den Arm. Ben und seine Freunde schienen die Wärme zu ignorieren, denn keiner von ihnen machte Anstalten, auch nur ein Kleidungsstück abzulegen.
Schon am Eingang dröhnten ihnen schwere Beats aus den Bassboxen entgegen, die mit irgendeinem angesagten Hip-Hop-Lied kämpften. Die Musik war okay, vielleicht ein wenig zu laut, aber schließlich war das nicht anders zu erwarten gewesen.
Der Club bestand im Wesentlichen aus einem langen Raum. Von draußen hatte er wie eine alte Fabrik ausgesehen und dieser Eindruck bestätigte sich nun. Rechts zog sich eine lange schwarze Holztheke mit silbernen Barhockern von einem Ende bis zum anderen Ende der Halle. Über den restlichen Raum verteilten sich Tische mit jeweils vier Metallstühlen. Das Licht über der Theke war gedämpft und fiel weich auf das Metall der Zapfhähne. Ansonsten tanzten farbige Lichter durch den Raum. Nicht wild flackernd wie in einer Diskothek, das Licht hier erinnerte Lara eher an die sich drehende Lampe aus ihrer Kindheit, die Sterne an die Wände und an die Zimmerdecke geworfen hatte. Die Wände bestanden aus rotbraunen Ziegelsteinen, die man sorgfältig vom Putz gereinigt hatte. Filmplakate und Poster verschiedener Pop-Legenden zierten die Wände.
Nicht schlecht, dachte sie. Ich hätte es mir schlimmer vorgestellt.
Sie sog die Luft ein, die nach Kaffee und süßem Alkohol roch. Ihr Blick schweifte durch den Raum. Die meisten trugen normale Klamotten. Jeans und so. Die üblichen bedruckten Sweatshirts, Pullover mit Aufdrucken und Emblemen. Ein paar Hemden und Blusen, die eigentlich zu kalt für diese Jahreszeit waren, aber bei der hier drinnen herrschenden Wärme verführerisch kühl aussahen. Lara zog am Kragen ihres Pullovers, um sich Luft zu verschaffen. Sie überlegte, was sie unter dem Pullover trug. Ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck »Don’t touch!«. Das wäre okay. Wenn es ihr wirklich zu heiß werden sollte, konnte sie den Pullover ausziehen, ohne peinlich aufzufallen.
»Da drüben ist noch ein Tisch frei«, meinte Ben und deutete in eine Ecke.
Alle zwängten sich durch Stühle und Tische. Nun fielen Bens Freunde doch auf, aber die Neugierde ebbte schnell ab und die Leute wandten sich wieder ihren Gesprächen zu.
Als sie den Tisch erreichten, war es nicht Ben, der ihr einen Stuhl anbot, sondern Marc. Kurz entschlossen zog er einen heran und machte eine galante Handbewegung. Lara lächelte. Der Rest der Gruppe verteilte sich um den Tisch herum. Ben nahm neben ihr Platz.
»Wer möchte was zu trinken?«, fragte er in die Runde. Alle nannten ihre Getränkewünsche. Mona, Marc und Ben wollten Drinks, deren Namen sie noch nie gehört hatte. Sie und Jessi würden eine Cola trinken. Sam wollte nichts.
Kevin äußerte sich nicht und Lara wurde gleich darauf auch klar, warum nicht.
»Wenn du dann so freundlich wärst, Kevin«, forderte ihn Ben auf. Ohne zu zögern, erhob sich der unscheinbare Junge und ging zur Bar, um die Getränkebestellung aufzugeben. Offensichtlich duldeten ihn die anderen nur aus dem Grund, dass er ein willfähriger Diener war und tat, was man von ihm verlangte.
Lara beugte sich zu Ben und flüsterte: »Wie seid ihr denn zu dem gekommen?«
»Kevin? War einfach da. Stand plötzlich vor uns, sagte Hallo und quatschte uns eine Stunde lang die Ohren voll, über seinen scheißinteressanten Job bei einer Versicherung, wo er anscheinend die große Kohle macht.«
»Trotzdem habt ihr ihn in eure Clique aufgenommen?«, wunderte sich Lara.
»Kevin ist schon in Ordnung. Wenn er die Prahlerei weglässt, kann man sich sogar vernünftig mit ihm unterhalten. Außerdem lässt er ab und zu was springen, gibt Drinks aus und so.«
Klar, dachte Lara. Ihr nützt ihn aus.
Unmut regte sich in ihr. Um ihre Gefühle vor Ben zu verbergen, wandte sie sich an Sam, der beinahe unbemerkt an ihrer rechten Seite saß und auf seine im Schoß gefalteten Hände starrte.
Ihn anzusprechen, war einfach. Die Frage lag auf der Hand und war ihm bestimmt schon unzählige Male gestellt worden.
»Warum nennt man dich eigentlich Joker?«
Seine Augen waren wie zwei ruhige Waldseen, dunkel und tief.
»Keine Ahnung«, meinte er knapp. Er
Weitere Kostenlose Bücher