Die Wiederkehr des gefallenen Engels
Zeit.
Seine Stimme war kaum hörbar, nur ein Flüstern, dennoch drang das Lied bis in die Tiefen ihrer Seele.
Als er geendet hatte, verging ein Moment, dann sagte Lara leise: »Danke.«
Sie machte einen kleinen Schritt. War Damian nun ganz nahe. Ihre Arme legten sich um seine Taille. Er zog sie an sich, hielt sie fest. Lara sah, wie sein Atem weiße Wolken vor seinem Gesicht entstehen ließ. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und genoss die Nähe. Er hielt sie fest. Stand einfach da und hielt sie.
Lara liebte ihn dafür. Jeder andere Junge hätte sofort versucht, sie zu küssen, und dann seine Hände unter ihren Mantel geschoben.
Er nicht.
Er stand da und sie spürte, dass auch er die Umarmung genoss.
Keiner von beiden hätte sagen können, wie viel Zeit vergangen war, als sie sich voneinander lösten. Vielleicht war es nur für die Dauer des Schlages eines Schmetterlingsflügels gewesen, aber es hatte sich angefühlt, als wäre die Zeit stehen geblieben oder als wären Jahrtausende verstrichen.
Als Lara neben Damian weiterlief, war sie glücklich. Es war perfekt gewesen. Damian schritt neben ihr her. Sie fasste nach seiner Hand.
Ben hatte alles gesehen. Alles. Seine Wut war ohnegleichen. Rote Punkte tanzten vor seinen Augen. Er blickte auf seine geballten Fäuste, die vor Zorn zitterten. Sein Atem kam stoßweise zwischen den zusammengepressten Lippen hervor.
Lara betrog ihn. Mit diesem anderen Jungen. Einem Fremden, der erst kurz zuvor an der Schule aufgetaucht war und sich nun in ihr Leben drängte.
Warum traf sie sich mit ihm? Was gab Damian ihr, das er ihr nicht auch geben konnte? Was war noch zwischen den beiden vorgefallen. Hatten sie …?
Er dachte den Gedanken nicht zu Ende, wollte ihn nicht zu Ende denken. Er atmete tief aus. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Ben zwang sich dazu, ruhig zu bleiben.
Denk nach, befahl er sich. Lass dir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Können sie sich überhaupt zuvor getroffen haben oder war dies ihr erstes Zusammentreffen?
Bilder tauchten vor seinem Geist auf. Er sah sich und Lara. In der Schule, der Bar, beim Billard. Nein, sie konnten sich nicht vorher schon getroffen haben. In ihrer Freizeit war Lara stets mit ihm zusammen gewesen und er hatte sie jeweils höchstpersönlich spät in der Nacht nach Hause gebracht.
Der Typ hat sie heute Morgen angequatscht und zu diesem Spaziergang überredet. Trotzdem, sie hätte nicht mitgehen dürfen. Damian zu umarmen, war fast mehr, als er verkraften konnte.
Damian.
Dieser Junge war ungewöhnlich. Etwas stimmte nicht mit ihm. Ben spürte es ganz deutlich. Vom ersten Moment an hatte er es gespürt. Damian war mehr als nur ein neuer Schüler aus einer fremden Stadt. Zwischen ihm und Lara lag eine Vertrautheit, die sich Ben nicht erklären konnte. Wenn er die beiden sah, schien es so, als gehörten sie zusammen. Als seien sie füreinander bestimmt.
Aber das konnte nicht sein.
Es durfte nicht sein.
Lara war das Ziel all seiner Träume. Er brauchte sie, um vollkommen zu werden. Größer zu werden.
Zu viel war bereits schiefgelaufen.
Er hatte zu Beginn der Herbstferien mit ihr Schluss gemacht, nicht um sich tatsächlich von ihr zu trennen. Sie wollte sich ihm nicht hingeben und er hatte geglaubt, wenn er mit ihr Schluss machte, würde sie angekrochen kommen und ihn anflehen, sie zu lieben. Stattdessen war sie nach Berlin zu ihren Großeltern gefahren. Nur wenige Tage, aber als sie zurückgekommen war, war sie ein anderer Mensch gewesen. Ruhiger, sicherer in sich selbst, voller Selbstvertrauen. Kein Mädchen mehr, das er nach Belieben manipulieren konnte. Und nun, kaum drei Monate später war zu allem Überfluss auch noch der fremde Junge aufgetaucht. Gerade zu dem Zeitpunkt, als er geglaubt hatte, Lara würde sich nun endgültig in ihn verlieben und er könne sein Ziel doch noch erreichen. Am Anfang hatte es so ausgesehen. Er hatte in Laras Augen entdeckt, dass sie in ihn verliebt war und es nur noch kurze Zeit dauern würde, bis sie ihm alles gab, was er wollte. Ihren Körper und ihren Geist.
Doch nun war Damian zwischen sie getreten und ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
Er sah auf seine Fäuste herab und stöhnte. Zwischen den Fingern hindurch tropfte Blut in den Schnee. Als er das vertraute Muster erblickte, schwor er sich, Damian dafür leiden zu lassen.
27.
Der Augenblick war verflogen. Lara tauchte in die Wirklichkeit ein und stellte fest, dass sie noch immer Damians Hand hielt.
»Lass uns
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