Die Wiederkehr des gefallenen Engels
ohne Liebe? Nichts. Liebe war der göttliche Funke, den der Schöpfer den Menschen geschenkt hatte. Liebe machte sie größer, als sie waren, gab ihnen die Kraft, sich über sich selbst zu erheben.
Er dachte an seine dunklen Brüder in der Hölle. All der Kampf, die Schmerzen und das Leid. Eine Existenz fernab des Lichts. Sie dienten Satan und starben für ihn. Unzählige von ihnen.
Er legte sich zurück und schloss die Augen.
Und träumte.
Da war ein weiter schwarzer Ozean, dessen Wellen gegen den Strand schlugen. Heißer Wind fuhr über sein Gesicht. Es fühlte sich an, als ob Tausende Nadeln über seine Haut tanzten. Damian warf einen Blick zum bleigrauen Himmel, suchte nach der Sonne, aber da war nur ein fahles rotes Licht hinter den dunklen Wolken.
Er blickte nach rechts, den Strand entlang. Dort, in einiger Entfernung lag ein wettergegerbter Baumstamm, von Furchen eingekerbt wie der faltige Finger einer alten Frau. Damian kniff die Augen zusammen. Der Wind trübte seinen Blick, aber ihm schien, als säße ein Mann auf dem Stamm. Das Gesicht und die Statur konnte er nicht ausmachen, aber er wusste, wer da auf ihn wartete.
Damian tat einen tiefen Atemzug. Der heiße Luftstrom schien seine Lunge zu verglühen. Ein vertrautes Gefühl. Er war wieder in der Hölle.
Er schnupperte. Der Geruch von Blut und Metall lag in der Luft. Zwar drang außer dem Rauschen des Meeres kein Geräusch an sein Ohr, aber er wusste, nicht weit entfernt tobte eine Schlacht von unvorstellbarem Ausmaß.
Den Kopf aufrecht, den Schritt fest, ging er auf Satan zu. Als er näher kam, stellte er fest, dass der Fürst die Gestalt eines alten Mannes angenommen hatte. Groß und schlaksig, mit langen grauen Haaren und einer Nickelbrille auf der Nase, wirkte er wie ein zerstreuter Professor, der auf seinen Lieblingsstudenten wartete. In der dürren Hand hielt er einen vertrockneten Stock, mit dem er Bilder in den Sand malte. Damian betrachtete sie. Es waren kleine Enten. Viele kleine Enten. Wie von einem Kind gemalt, planschten sie in einem durch Striche angedeuteten See herum.
»Gefällt es dir?«, fragte Satan mit angenehm unaufgeregter Stimme.
Damian sah auf die Enten hinab. Was sollte er sagen?
»Nun, ich sehe schon, du bist kein großer Anhänger der Kunst.« Satan wischte ein paar Sandkörner von seinem schwarzen, ausgebeulten Anzug. Darunter trug er ein weißes Hemd, eine schiefe, halb offene rote Krawatte. Er war barfuß. Dürre bleiche Beine endeten in bloßen Füßen, die jeder Krähe zur Ehre gereicht hätten. Damian ließ sich von der Erscheinung nicht täuschen. Satan nahm oftmals eine Gestalt an, die seiner augenblicklichen Laune entsprach, aber ebenso konnte es sein, dass er sein Aussehen dazu einsetzte, seinen Gesprächspartner in Sicherheit zu wiegen.
»Was willst du von mir?«, fragte Damian und versuchte, alle Emotionen aus seiner Stimme zu bannen.
»Lass uns über Kunst reden.« Satan lächelte geheimnisvoll, so als wüsste er etwas, das Damian nicht einmal ahnte.
»Du dringst in meine Träume ein, um über Kunst mit mir zu reden?«
»Ja.« Er fuchtelte mit der Hand in der Luft herum. »Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, warum Menschen die Kunst erfunden haben? Die Musik? Die Malerei? Die Dichtkunst?« Er beantwortete sich die Frage selbst. »Nein, hast du nicht. Ich sehe es dir an.« Satan zupfte an seinem Jackett herum. Offensichtlich juckte ihn der raue Stoff, aber auch das mochte eine Täuschung sein. »Ich werde dir die Antwort geben. Ja, ich werde dich erleuchten. Die Kunst …« Er machte eine effektvolle Pause. »… wurde gar nicht von den Menschen erfunden. ER hat sie ihnen mit auf den Weg gegeben. Den Funken der Kreativität in sie gelegt, damit sie ihm auf tausendfache Weise huldigen können. Wie egoistisch.«
Satan vollführte eine Handbewegung und ein Gerät erschien. Ein monströser Ghettoblaster, mit Bassboxen so groß wie der Arm eines Mannes. Vor sich hin brummelnd ging der Fürst der Hölle hinüber und drückte eine Taste. Stampfende Beats ertönten in ohrenbetäubender Lautstärke. Eine dumpfe männliche Stimme rappte dazu, es ging um Sex und Drogen.
Satan wackelte mit dem Kopf, dann hielt er sich die Ohren zu. Sein Mund bewegte sich.
Damian verstand kein Wort. »Was?«, schrie er gegen den Lärm an.
»Ich sagte …« Der Fürst streckte seinen Fuß aus und fand mit dem großen Zeh die Pausentaste. »Ich sagte, hast du schon mal so eine Scheiße gehört? Da gibt ER ihnen diese
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