Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
eine gefurchte Stirn und zerstreut blickende Augen verrieten, daß seine Gedanken zurückgewandert waren in das große Eßzimmer von ›Abbey Grange‹, in dem sich die mitternächtliche Tragödie ereignet hatte. Schließlich, einem plötzlichen Entschluß folgend, der Zug war gerade angefahren, um einen Vorortbahnhof zu verlassen, sprang er auf den Bahnsteig und zog mich hinter sich her.
»Entschuldigen Sie, mein lieber Junge«, sagte er, und wir sahen die letzten Wagen unseres Zuges in einer Kurve verschwinden, »es tut mir leid, daß Sie das Opfer eines Einfalls werden, der sich als bloße Grille herausstellen kann. Aber bei meinem Leben, Watson, ich kann den Fall in diesem Zustand einfach nicht aufgeben. Alle meine Instinkte wehren sich dagegen. Die Lösung ist falsch – ganz falsch, darauf kann ich schwören. Dabei war die Geschichte der Lady vollständig, die Bestätigung durch die Zofe ausreichend, und die Einzelheiten stimmten einigermaßen. Was habe ich dagegenzusetzen? Drei Weingläser – das ist alles. Aber wenn ich die Dinge nicht als gegeben hingenommen, wenn ich sie mit der Sorgfalt untersucht hätte, die ich aufwende, wenn ich mich einem Fall de novo nähere, und mich nicht auf eine fix und fertige Geschichte eingelassen hätte, die mein Denken ablenkte – wäre ich dann nicht auf etwas Bestimmteres gestoßen, das mich weitergebracht hätte? Ganz gewiß wäre das der Fall gewesen. Nehmen Sie Platz auf der Bank, Watson, bis ein Zug nach Chislehurst einfährt, und erlauben Sie mir, das Beweismaterial vor Ihnen auszu breiten. Dabei flehe ich Sie an, zuallererst die Vorstellung aufzugeben, daß alles, was die Zofe oder die Herrin gesagt haben, notwendigerweise wahr sein muß. Die bezaubernde Ausstrahlung der Lady darf unser Urteil nicht beeinflussen.
Es gibt Einzelheiten in ihrer Geschichte, die, mit kühlem Kopf betrachtet, unseren Verdacht hervorrufen würden. Die Einbrecher haben vor vierzehn Tagen ziemliches Aufsehen in Sydenham erregt. In den Zeitungen sind Berichte, und ihre Beschreibungen erschienen, und das müßte natürlich jemandem einfallen, der über einer Geschichte sinnt, in der in der Einbildung existierende Einbrecher eine Rolle spielen sollen. Es steht fest, daß Einbrecher in der Regel nach einem gelungenen Coup erst einmal froh sind, wenn sie die Früchte ihres Raubzuges in Ruhe und Frieden genießen können, und nicht daran denken, sich gleich wieder in ein neues, gefährliches Unternehmen zu stürzen. Außerdem ist es bei Einbrechern nicht üblich, zu so früher Stunde ans Werk zu gehen; es ist bei Einbrechern unüblich, eine Dame zu schlagen, um sie am Schreien zu hindern, da sie sich vorstellen können, daß dies der sicherste Weg ist, sie zum Schreien zu bringen; es ist bei ihnen nicht üblich, einen Mord zu begehen, wenn ihre Übermacht ausreicht, einen Mann zu überwältigen; normalerweise geben Sie sich nicht mit einer kleinen Beute zufrieden, wenn viel mehr zu holen ist; und schließlich möchte ich sagen, daß solche Leute sehr selten eine Flasche halbleer stehenlassen. Wie wirken all diese Ungewöhnlichkeiten auf Sie, Watson?«
»Das ist in der Tat eine beträchtliche Häufung, und doch erscheint mir jedes Verhalten für sich durchaus möglich. Als ungewöhnlichstes betrachte ich den Umstand, daß man die Lady an einen Sessel gefesselt haben soll.«
»Nun, da bin ich mir nicht so gewiß, Watson, denn es liegt auf der Hand, daß sie sie entweder töten oder sich ihrer auf eine Art bemächtigen mußten, die es verhinderte, daß sie sogleich von der Flucht Bericht geben konnte. Aber wie dem auch sei, ich habe Ihnen wohl vorgeführt, daß die Geschichte der Lady ein gewisses Element der Unwahrscheinlichkeit birgt. Und zu allem kommt dann noch die Sache mit den Weingläsern.«
»Was ist mit den Weingläsern?«
»Können Sie sich noch vorstellen, in welchem Zustand sie waren?«
»Ich sehe sie klar vor mir.«
»Uns wurde erzählt, drei Männer hätten aus ihnen getrunken. Kommt Ihnen das wahrscheinlich vor?«
»Warum nicht? In jedem Glas ist Wein gewesen.«
»Das schon, aber Weinstein fand sich nur in einem der Gläser. Das muß Ihnen doch aufgefallen sein. Was schließen Sie daraus?«
»Das Glas, das als letztes gefüllt wurde, hat wahrscheinlich am ehesten den Weinstein abgekriegt.«
»Nein, nein. Die Flasche war voller Weinstein, und es ist unvorstellbar, daß die ersten beiden Gläser klar geblieben sein sollen und
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