Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
war der Leichnam eines großen, gutgebauten Mannes von vielleicht vierzig Jahren. Er lag auf dem Rücken, das Gesicht zur Decke gerichtet, und die weißen Zähne grinsten durch einen kurzen schwarzen Bart. Die zu Fäusten geballten Hände waren über den Kopf geworfen, und hinter ihnen lag der schwere Schlehdornstock. Die dunk len, ebenmäßigen, adlergleichen Züge des Mannes waren zu einem Spasmus von Rachsucht und Haß verzerrt, was sein totes Antlitz zu einem schrecklich teuflischen Ausdruck hatte erstarren lassen. Offensichtlich war er bereits im Bett gewesen, als der Alarm ausbrach, denn er trug ein stutzerhaft besticktes Nachthemd, und aus den Hosenbeinen ragten bloße Füße. Seine Kopfverletzung war schrecklich, und überall im Raum sah man Spuren, die von der mörderischen Wucht des Schlages zeugten, der ihn getroffen hatte. Neben ihm lag der schwere Schürhaken, der sich beim Aufprall verbogen hatte. Holmes untersuchte ihn wie auch die unbeschreibliche Wirkung, die seine Handhabung hinterlassen hatte.
»Er muß ein starker Mann sein, dieser ältere Randall«, bemerkte er.
»Das stimmt«, sagte Hopkins, »ich habe ein Protokoll über den Burschen gelesen. Ein ganz roher Kunde.«
»Es sollte Ihnen nicht schwerfallen, ihn zu fassen.«
»Nicht im mindesten. Wir hatten schon nach ihm gefahndet, und dann schien es, als wäre er nach Amerika geflüchtet. Jetzt, da wir wissen, daß sich die Bande im Land aufhält, sehe ich nicht, wie sie entkommen könnte. Jeder Hafen hat bereits die Beschreibungen, und noch vor Abend werden wir eine Belohnung ausgeschrieben haben. Was mir nicht in den Kopf will, ist der Umstand, daß sie so etwas Verrücktes angestellt haben, da sie doch wußten, daß die Lady sie beschreiben würde und daß wir sie nach ihrer Beschreibung erkennen müßten.«
»So ist es. Man hätte erwarten können, daß sie Lady Brackenstall genauso für immer zum Schweigen gebracht hätten.«
»Vielleicht haben. sie nicht bemerkt«, vermutete ich, »daß sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war.«
»Das hat viel für sich. Wenn sie bewußtlos wirkte, war es nicht nötig, ihr das Leben zu nehmen. Aber was hat es mit dem armen Burschen da gegeben, Hopkins? Ich glaube, ich habe einige verrückte Geschichten über ihn gehört.«
»Er war ein gutherziger Mann, solange er nüchtern war, aber ein ausgesprochener Teufel, wenn er betrunken war oder vielmehr halbbetrunken, denn er hat sich selten ganz vollaufen lassen. Unter solchen Umständen führte er sich auf wie vom Satan besessen und war zu allem fähig. Soviel ich weiß, ist er ein- oder zweimal trotz seines Reichtums und Titels fast mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Da gab es den Skandal wegen des Hundes, den er mit Petroleum übergossen und angezündet hat – der Hund gehörte der Lady, um die Sache noch schlimmer zu machen –, das konnte nur mit Mühe vertuscht werden. Dann hat er einmal eine Karaffe nach Theresa Wright, der Zofe, geworfen; auch deswegen gab es Ärger. Unter uns: Aufs Ganze gesehen, wird das hier ein freundlicheres Haus sein ohne ihn. Was untersuchen Sie denn jetzt?«
Holmes lag auf den Knien und musterte sehr aufmerksam die Knoten an der roten Schnur, mit der die Lady gefesselt gewesen war. Dann betrachtete er eindringlich das ausgefranste Ende der Schnur, die Stelle, wo sie gerissen war, als der Einbrecher an ihr zerrte.
»Als sie riß, muß die Glocke in der Küche sehr laut geläutet haben«, bemerkte er.
»Das konnte keiner hören; die Küche liegt ganz hinten im Haus.«
»Woher wußte der Einbrecher, daß niemand die Glocke hören würde? Wieso konnte er es wagen, so rücksichtslos an einem Klingelzug zu reißen?«
»Das ist es, Mr. Holmes, genau das. Sie stellen gerade die Frage, die ich mir selber wieder und wieder gestellt habe. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß der Bursche das Haus und alles, was dazu gehört, gut gekannt haben muß. Er muß gewußt haben, daß die Dienerschaft zu dieser vergleichsweise frühen Stunde schon im Bett war und daß niemand das Anschlagen der Glocke in der Küche hören konnte. Er muß also mit einem der Diener engen Kontakt gehabt haben. Das liegt auf der Hand. Aber es gibt acht Bedienstete im Haus, und alle haben einen guten Ruf.«
»Unter sonst gleichen Umständen«, sagte Holmes, »würde man die Person verdächtigen, nach deren Kopf der Herr eine Karaffe geworfen hat. Aber auf die Weise käme Verrat an der Herrin ins Spiel,
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