Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
sich im dritten eine ziemlich dichte Schicht abgesetzt hat. Es gibt hierfür zwei Möglichkeiten, und nur diese. Die eine ist, daß die Flasche, nachdem das zweite Glas gefüllt war, heftig geschüttelt wurde und auf die Weise das dritte Glas soviel Weinstein abbekommen hat. Aber das klingt nicht wahrscheinlich. Nein, ich bin sicher, daß ich richtig vermute.«
»Was nehmen Sie denn an?«
»Daß nur aus zwei Gläsern getrunken worden ist und daß man die Neigen aus ihnen in ein drittes Glas geschüttet hat, um den falschen Eindruck zu erwecken, drei Leute seien dagewesen. Auf diese Weise wäre der Weinstein ganz in das dritte Glas geraten, stimmt’s? Ja, ich bin davon überzeugt, daß es so war. Wenn ich aber damit die richtige Erklärung für diese Kleinigkeit gefunden habe, dann erhebt sich der Fall sofort aus der Sphäre des Alltäglichen in den Bereich des äußerst Bemerkenswerten, denn es würde bedeuten, daß Lady Brackenstall und ihre Zofe uns vorsätzlich angelogen haben und man kein Wort ihrer Geschichte glauben kann, daß sie aus einem sehr gewichtigen Grund das wirkliche Verbrechen verdecken wollen und wir also den Fall ohne die geringste Hilfe von ihrer Seite selber rekonstruieren müssen. Das ist die Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, und da, Watson, kommt auch schon der Zug nach Chislehurst.«
Die Bewohner von ›Abbey Grange‹ staunten sehr über unsere Rückkehr, aber Sherlock Holmes, nachdem er erfahren hatte, daß Hopkins abgefahren war, um im Polizeihauptquartier Bericht zu erstatten, nahm das Speisezimmer in Besitz, schloß die Tür von innen ab und widmete sich für zwei Stunden einer jener genauen und aufwendigen Untersuchungen, die die solide Basis der glänzenden Gebäude seiner Schlußfolgerungen bilden. Ich saß in einer Ecke wie ein aufmerksamer Student, der den Demonstrationen seines Professors zusieht, und verfolgte jeden Schritt seiner bemerkenswerten Erkundung. Das Fenster, die Vorhänge, der Teppich, der Sessel, die Klingelschnur – alles wurde genauestens geprüft und angemessen erwogen. Den Leichnam des unglücklichen Baronets hatte man weggebracht, alles andere aber war so geblieben, wie wir es am Morgen gesehen hatten. Dann kletterte Holmes zu meiner Verwunderung auf den massiven Kaminsims. Ziemlich hoch über seinem Kopf hingen an dem Draht des Klingelzuges noch ein paar Inch der roten Schnur. Lange starrte er hinauf, und dann stützte er, im Versuch, näher heranzukommen, das Knie auf eine hölzerne Konsole an der Wand. Dadurch kam seine Hand fast bis an das Ende des Schnurrestes; aber es war nicht so sehr dieser Umstand, der seine Aufmerksamkeit zu fesseln schien, als die Konsole selbst. Schließlich sprang er mit einem Ausruf der Befriedigung herunter.
»Alles in Ordnung, Watson« sagte er. »Wir haben unseren Fall – einen der bemerkenswertesten in unserer Sammlung. Mein Gott, bin ich schwer von Begriff gewesen, und wie nahe war ich daran, den Irrtum meines Lebens zu begehen. Jetzt, denke ich, ist die Kette bis auf wenige fehlende Glieder komplett.«
»Dann haben Sie also Ihre Männer?«
»Meinen Mann, Watson, meinen Mann. Nur eine, aber dafür eine sehr beachtliche Person. Stark wie ein Löwe – denken Sie an den Hieb, der den Schürhaken verbogen hat. Sechs Fuß und drei Inch hoch, behende wie ein Eichhörnchen, dazu fingerfertig und schließlich bemerkenswert scharfsinnig, denn diese ganze sinnvolle Geschichte hat er selber ausgebrütet. Ja, mein lieber Watson, wir sind auf das Kunstwerk eines sehr bemerkenswerten Individuums gestoßen. Und doch hat er uns mit der Schnur einen Anhaltspunkt gegeben, der uns aller Zweifel enthebt.«
»Worin liegt der Anhaltspunkt?«
»Nun, wenn Sie eine Klingelschnur herunterzerren, Watson, an welcher Stelle würde sie wahrscheinlich reißen? Sicherlich doch dort, wo sie am Klingeldraht befestigt ist. Aber wie kann sie drei Inch neben dem wahrscheinlichen Punkt reißen?«
»Wenn sie an der Stelle abgenutzt ist?«
»Genau. Das Ende, das wir untersucht hatten, war ausgefranst. Er war schlau genug, das mit seinem Messer zu bewerkstelligen. Aber das andere Ende dort oben ist nicht ausgefranst. Von hier unten können Sie das nicht erkennen, aber wenn Sie auf dem Kaminsims stehen, sehen Sie, daß die Schnur glatt durchschnitten ist und keinerlei Anzeichen von Abnutzung aufweist. Sie können also rekonstruieren, was geschehen sein muß. Der Mann brauchte die Schnur. Er wollte sie aber nicht
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