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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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tiefer in die Katakomben eindrangen, einsilbiger und leiser geworden und schließlich
ganz verstummt - wie ein Wasserstrom, der auf seinem Weg ins Herz
der Erde allmählich versickerte. Selbst Andrej fiel plötzlich auf, dass
Abu Dun und er sich im Flüsterton unterhalten hatten, nicht nur, damit die Männer ihre Worte nicht verstanden.
Er beschleunigte seine Schritte, um zu dem Soldaten zu gelangen.
Der schwieg beharrlich weiter, deutete aber mit seiner Fackel nach
vorne. Ein Schwall roter Lichtpfeile bohrte sich in die scheinbar
massive Wand aus Dunkelheit, die den Stollen vor ihnen auszufüllen
schien, und erlosch zu rasch wieder, um ihnen Einzelheiten zu offenbaren. Selbst Andrejs scharfe Augen zeigten ihm kaum mehr als verschwommene Schemen. Er wusste trotzdem, was dort auf sie wartete.
Abu Dun und nach und nach auch die anderen Männer schlossen zu
ihnen auf, aber keiner wagte es, die unsichtbare Grenze zu überschreiten, jenseits derer der Schein ihrer Fackeln die lauernden Gestalten ganz aus der Dunkelheit gerissen hätte. Andrej schauderte. Er
brauchte die Furcht, die sich in die Herzen der Männer geschlichen
hatte, gar nicht mehr zu spüren. Er fühlte seine eigene.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie einer der Männer nach seiner
Waffe griff, und machte eine rasche Handbewegung. »Nicht«, sagte
er hastig.
Der Mann zog die Hand zurück, und Abu Dun warf ihm einen halb
fragenden, halb alarmierten Blick zu und senkte ebenfalls die Hand
auf den Schwertgriff. Andrej schüttelte nochmals und heftiger den
Kopf, griff nach der Fackel des Soldaten und ging weiter.
Er war nicht sicher, ob es wirklich dieselben Gestalten waren, auf
die er bereits zusammen mit Thilo und seinen Männern gestoßen
war. Er hatte ihre Gesichter kaum gesehen und Frederics Kreaturen
hatten mehrere von ihnen getötet. Andrej benötigte nur wenige Augenblicke, um sich der Gruppe aus vier oder fünf schmutzstarrenden
und heruntergekommenen Gestalten weit genug zu nähern, damit aus
den verschwommenen Flecken unter ihren zerfetzten Kopfbedeckungen und dem verdreckten Haar erkennbare Gesichter wurden, doch in
dieser winzigen Zeitspanne spielte ihm seine Fantasie mehr als nur
einen bösen Streich. Was, wenn es wirklich dieselben Männer und
Frauen waren und er in grinsende Totenschädelgesichter blickte, sobald er den nächsten Schritt tat? Nicht zum ersten Mal, aber niemals
so deutlich wie jetzt, wurde Andrej klar, wie hoffnungslos überlegen
Frederic Abu Dun und ihm war und wie gering ihre Chancen, das
Tageslicht noch einmal wieder zu sehen, wenn er sich wirklich entschloss, sie hier unten anzugreifen.
Es waren keine Untoten.
Die Gesichter, in die er blickte, nachdem er noch einige weitere
Schritte getan und schließlich angehalten hatte, gehörten lebenden,
atmenden Menschen mit einem schlagenden Herzen und einer Seele.
Niemals zuvor hatte er so erbärmliche Gestalten erblickt. Es waren
vier Männer und eine Frau (jedenfalls nahm er das an), die in zerrissene Lumpen gehüllt waren, von denen ein dermaßen intensiver Gestank ausströmte, dass es Andrej schier den Magen umdrehte. Einer
der Männer hatte nur einen Schuh an, die Frau war sogar barfuß. Die
wenige Haut, die Andrej unter der dicken Kruste aus eingetrocknetem Schmutz und Grind erkennen konnte, war zerschunden und von
eiternden Pusteln und Beulen übersät, und bei den meisten befanden
sich da, wo eigentlich Zähne hätten sein sollen, nur noch faulige
Stümpfe.
»Was wollt ihr?«, fragte Andrej.
Im ersten Moment bekam er keine Antwort, dann trat ein kleinwüchsiger Mann, der ein fast kinderfaustgroßes, nässendes Geschwür
mitten im Gesicht hatte, vor und sah ihn aus zusammengekniffenen
Augen an. Andrej musste sich beherrschen, um nicht einen Schritt
zurückzuweichen, als ihm sein übel riechender Atem entgegenschlug.
»Dieselbe Frage stelle ich dir«, sagte er. »Was wollt ihr hier? Ihr
habt hier nichts verloren. Nicht in unserer Stadt.«
Es erschien Andrej merkwürdig, dass der Mann diese lichtlosen,
verseuchten Tunnel als Stadt bezeichnete, aber er hütete sich, eine
Bemerkung zu machen oder auch nur eine Miene zu verziehen. Die
Nähe dieser Jammergestalten bereitete ihm Unbehagen, und das lag
nicht nur an ihrem heruntergekommenen Äußeren, den schwärenden
Wunden und dem unerträglichen Gestank, der aus ihren Poren und
Kleiderfetzen drang. Obwohl die Männer einen bedauernswerten
Anblick boten, ging doch zugleich eine fast körperlich

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