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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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eines anderen Vampyrs war
deutlich zu spüren, aber Andrej konnte nicht sagen, ob es Abu Dun
war oder das unheimliche Wesen der vergangenen Nacht.
Sie betraten das Gebäude, ohne auf einen anderen Menschen zu
treffen, durchquerten einen kurzen Flur und gingen dann eine lange,
von heftig rußenden Fackeln erhellte Treppe hinunter. Gefängnisgeruch schlug ihnen entgegen: eine Mischung aus Krankheit, Schweiß
und fauligem Wasser, Fäkalien und Tod. Dann und wann glaubte er
ein gedämpftes Stöhnen zu hören, und einmal auch das unverkennbare Knallen einer Peitsche, gefolgt von einem gellenden Schrei. Die
Mehrzahl der Türen, an denen sie vorbeikamen, stand offen. Die Zellen dahinter waren leer.
»Graf von Salm hat eine Amnestie für alle Gefangenen angeboten,
die bereit sind, bei der Verteidigung der Stadt zu helfen«, erklärte der
Soldat. »Die meisten haben sein Angebot angenommen.«
Eine Wahl, die ihnen nicht besonders schwer gefallen sein dürfte,
überlegte Andrej. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Stadt fallen würde, stieg mit jedem Tag, den die Belagerung andauerte, und die Türken waren nicht für die übergroße Gnade bekannt, mit der sie ihre
Gefangenen behandelten. Die Wahrscheinlichkeit, beim Kampf auf
der Stadtmauer zu fallen, war nicht gering, aber dieses Schicksal war
immer noch besser, als eine möglicherweise jahrelange Gefangenschaft in einem Gefängnis zu überleben.
Wieder lauschte Andrej in sich hinein. Er war jetzt fast sicher, dass
es Abu Dun war, dessen Nähe er fühlte, aber irgendetwas stimmte
nicht mit ihm. Er musste sich beherrschen, um sich seine Unruhe
nicht anmerken zu lassen.
Vor einer angelehnten Tür am Ende des Gangs hielten sie an, und
der junge Soldat, der bisher als Einziger mit ihm gesprochen hatte,
streckte fordernd die Hand aus. »Dein Schwert«, verlangte er.
»Bin ich also doch euer Gefangener?«, fragte Andrej.
Sein Gegenüber blieb ihm auch dieses Mal eine direkte Antwort
schuldig. »Graf von Salm hat angeordnet, dass niemand mit einer
Waffe in seine Nähe kommen darf«, erläuterte er.
»Ach«, machte Andrej gereizt. »Und wer von euch will mir das
Schwert wegnehmen?« Sein Blick wanderte herausfordernd von einem Gesicht zum anderen, während seine Hand über den edelsteinverzierten Griff der kostbaren Waffe strich.
Diese Männer zu reizen war nicht nur vollkommen sinnlos, sondern
darüber hinaus gefährlich. Sie taten nur das, was auch er von seinen
Untergebenen erwartet hätte - sie befolgten ihre Befehle -, aber er
hätte schon blind sein müssen, um zu übersehen, wie viel Angst sie
vor ihm hatten. Und es gab kaum etwas Gefährlicheres als einen
Gegner, der Angst hatte, denn Angst machte vollkommen unberechenbar. Was er hier tat, war unvernünftig. Aber Andrej hatte
Schmerzen, er hatte Angst um Abu Dun und immer mehr das Gefühl,
in eine Falle zu tappen.
Möglicherweise hätte die Situation wirklich einen schlimmen Ausgang genommen, wäre nicht in diesem Moment auf der anderen Seite
der Tür von Salms Stimme laut geworden: »Lasst es gut sein. Ich
glaube nicht, dass Meister Delãny hierher gekommen ist, um mich
umzubringen.« Die Tür wurde geöffnet, und der weißhaarige Graf
blickte zu Andrej hinaus und fügte lächelnd hinzu: »Das stimmt
doch, hoffe ich.«
Andrej antwortete nicht, und von Salm wandte sich mit einer Geste
an die Soldaten. »Es ist gut. Ich rufe euch, wenn ich euch brauche.«
Dann winkte er Andrej, zu ihm hereinzukommen.
»Ihr müsst den Übereifer meiner Männer entschuldigen, Andrej Delãny«, sagte er, während Andrej an ihm vorbeiging und sich mit einem raschen Blick umsah.
Viel gab es nicht zu entdecken: Der Raum war unerwartet groß,
dennoch aber ganz zweifelsfrei eine Kerkerzelle; fensterlos, mit kahlen Wänden, in die eine stattliche Anzahl schwerer eiserner Ringe
eingelassen worden war, und nacktem Steinboden. Es gab nur ein
einziges Möbelstück, einen grob gezimmerten Tisch, auf dem ein,
mit einem hellen Leinentuch abgedeckter Körper lag. Andrej musste
keinen Blick unter das Tuch werfen, um zu wissen, dass es ein Toter
war.
»Es sind gefährliche Zeiten, und es geht das Gerücht, dass Sultan
Soliman Mörder in die Stadt geschickt hat, um mich töten zu lassen«,
fuhr von Salm fort, während er die Tür hinter Andrej schloss. »Ich
glaube das nicht. Ich bin kein so wichtiger Mann, dass der Sultan
einen Preis auf meinen Kopf aussetzen würde. Aber die Männer sind
nun einmal für meine Sicherheit

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