Die Wiederkehr
schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht, seit er gestern
Nacht weggegangen ist.«
»Gegen ein wenig Verbandszeug hätte ich nichts einzuwenden. Sauberes Verbandszeug«, fügte Andrej nach einer winzigen Pause
hinzu.
Malik starrte die Wunde unter seinem Herzen noch einen Atemzug
lang an, dann riss er sich mit sichtlicher Anstrengung von dem Anblick los und nickte fahrig. »Natürlich.«
Er wollte sich unverzüglich auf den Weg machen, aber Andrej hielt
ihn zurück. »Eine Frage noch. Der Junge, der gestern Abend an meinen Tisch getreten ist - kennst du ihn?«
»Nein.« Andrej war nicht sicher, ob Malik nicht eine Spur zu
schnell den Kopf schüttelte. »Ich habe ihn nie zuvor gesehen. Normalerweise werfe ich dieses Bettlergesindel raus, bevor es meine
Gäste belästigen kann.« Sein Blick irrte unsicher über Andrejs Gesicht und tastete erneut über die Wunde. »Warum - war er das?«,
fragte er.
»Dieser Junge?« Andrej musste seine Überraschung nicht einmal
spielen. Er lachte. »Nein.«
Der Schankwirt blieb ernst. »Es sind schlimme Zeiten, Andrej«,
sagte er. »Manchmal werden ahnungslose Fremde in die Falle gelockt. Es wäre nicht das erste Mal, dass einem Mann wegen einer
Hand voll kleiner Münzen die Kehle durchgeschnitten wird.«
Andrej schlug mit der flachen Hand auf den schmal gewordenen
Lederbeutel an seinem Gürtel, sodass die wenigen Münzen darin
hörbar klimperten. »Wie du hörst, bin ich noch im Besitz all meiner
unermesslichen Reichtümer.«
Malik lachte unsicher und schien es plötzlich sehr eilig zu haben,
das Zimmer zu verlassen. Andrej wandte sich wieder der Wasserschüssel zu und begann mit spitzen Fingern seine Wunde zu säubern.
Es schmerzte, viel mehr, als es hätte schmerzen sollen. Er war froh,
als er nach einer Weile Schritte hörte, weil er die Wunde nun endlich
versorgen konnte.
Aber es war nicht Malik. Als Andrej sich umdrehte, sah er in das
Gesicht desselben, übernächtigt aussehenden jungen Soldaten, der
Abu Dun und ihn am vergangenen Abend zu von Salm gebracht hatte. Mindestens zwei weitere Männer warteten draußen auf dem Flur.
»Ja?«, fragte er.
»Andrej Delãny?«, stellte der Mann vollkommen überflüssig fest.
Er wartete, bis Andrej seine Frage mit einem Nicken beantwortet
hatte, bevor er die rechte Hand auf den Schwertgriff senkte und mit
einem gekünstelten Räuspern hinzufügte: »Ihr werdet mich begleiten. Graf von Salm will Euch sehen.«
Trotz der frühen Morgenstunde herrschte in von Salms Hauptquartier bereits hektischere Betriebsamkeit als am vorangegangenen Abend. Die Schlacht war schon mit dem ersten Licht des Tages neu
entbrannt, und unzählige Boten eilten durch die Gänge und Hallen,
um Befehle oder Berichte vom Verlauf der Kämpfe zu überbringen.
Andrej war so in seine Gedanken vertieft, dass er seine Umgebung
kaum wahrnahm, aber nicht einmal in diesem Zustand entging ihm
die ungute Stimmung, die nicht nur in von Salms provisorischem
Hauptquartier herrschte. Irgendetwas musste geschehen sein, von
dem er noch nichts wusste. Und es schien nichts Gutes zu sein.
Hätte Andrej die Wahl gehabt, er wäre lieber oben auf den Mauern
gewesen, um gegen die Türken zu kämpfen, als jetzt hier zu sein und
auf den greisen Verteidiger der Stadt zu warten. Andrej fühlte sich
wie in einem Albtraum gefangen. Er begriff nicht, was in der vergangenen Nacht geschehen war - und noch viel weniger, was es zu
bedeuten hatte. Wo war Abu Dun? Woher kam dieser mörderische
Hass, den er in Breitenecks Augen - und vor allem in denen des Jungen - gelesen hatte? Und wer war jener unheimliche Fremde, der ihn
befreit und ihm möglicherweise das Leben gerettet hatte? Nichts von
alldem schien irgendeinen Sinn zu ergeben. Irgendjemand trieb ein
teuflisches Spiel mit ihnen.
Unmittelbar nach seiner Ankunft in von Salms Hauptquartier hatte
man ihn in einen kleinen Raum geführt, der behaglich eingerichtet
war und schon fast einen Hauch von Luxus verströmte. Andrej gefiel
er aber aus gleich zweierlei Gründen nicht: Zum einen waren es die
massiven, offenbar nachträglich angebrachten Gitterstäbe vor dem
Fenster, die sein Missfallen erregten, zum anderen hatte er das Geräusch eines Schlüssels gehört, nachdem die Wache ihn hereingeführt und dann die Tür von außen verschlossen hatte.
Der dicke Teppich, die wertvollen Seidentapeten und das kostbare
Mobiliar mochten etwas anderes vortäuschen, aber ein Gefängnis
blieb ein Gefängnis. Andrej hasste es,
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