Die Wiederkehr
kleinste verräterische Zeichen in seinem Gesicht lauerte. Ein sonderbares Gefühl
von Schmerz machte sich in ihm breit. Es war nicht seine Schuld.
Weder hatte er diesen armen Jungen getötet noch wusste er, wer es
getan hatte, und noch viel weniger hätte er es verhindern können.
Und doch - als er an den vergangenen Abend zurückdachte und an
den lodernden Hass, den er in den Augen dieses Kindes gelesen hatte, da kam es ihm vor, als hätte er selbst ihn mit eigenen Händen umgebracht.
Auch wenn er kaum mehr als den Namen dieses Jungen kannte, so
hatte ihm die Begegnung mit ihm verdeutlicht, dass ihm ein Wesen
seiner Art etwas Unvorstellbares angetan haben musste. Und nun war
es ein Wesen seiner Art gewesen, das ihn getötet hatte. Würde er
dem Fluch denn niemals entrinnen?
»Ich frage Euch noch einmal, Andrej Delãny«, brachte von Salm, in
plötzlich verändertem, schneidend kaltem Ton hervor. »Wohin seid
Ihr gestern Abend mit diesem Jungen gegangen, und was habt Ihr
getan?«
»Sagtet Ihr nicht, Ihr wüsstet, dass ich mit seinem Tod nichts zu tun
habe?«, erwiderte Andrej, statt die Frage direkt zu beantworten.
Einen Moment lang sah es so aus, als würde von Salm nun endgültig die Fassung verlieren, aber dann drehte er sich brüsk um und ging
mit schnellen Schritten zur Tür. »Folgt mir!«, befahl er.
Andrej gehorchte, allerdings erst, nachdem er sich gebückt und das
Leinentuch wieder aufgehoben hatte, um es über Marcos Leichnam
zu breiten.
Er hatte erwartet, die Soldaten auf dem Korridor anzutreffen, die
von Salm vorhin hinausgeschickt hatte, aber sie waren allein. Entweder hatte er die Worte des Grafen vollkommen falsch interpretiert
oder von Salm fühlte sich sehr sicher. Andrej hätte nicht sagen können, welche Möglichkeit ihn stärker beunruhigte.
Sie gingen ein Stück des Weges zurück, den Andrej vorhin gekommen war, dann öffnete von Salm eine Tür, hinter der sie eine
weitere Treppe erwartete, die noch einmal ein gutes Stück in die Tiefe hinabführte. Mit jeder Stufe, die sie weiter nach unten stiegen,
wurde das Gefühl, sich in der Nähe eines anderen Unsterblichen zu
befinden, stärker. Und er war jetzt ziemlich sicher, dass es sich nicht
um den Unheimlichen der letzten Nacht handelte, sondern um Abu
Dun.
Der Gang, den sie erreichten, war kürzer und hatte nur eine einzige
Tür am anderen Ende, die von zwei schwer bewaffneten Männern
bewacht wurde. Sie salutierten, als sie von Salm erkannten, und einer
von ihnen machte Anstalten, den schweren Riegel zur Seite zu schieben, mit dem die Tür verschlossen war. Der Graf winkte jedoch rasch
ab und wandte sich mit einer fordernden Geste zu Andrej um. »Ich
muss Euch nun doch bitten, mir Eure Waffe auszuhändigen, Andrej«,
sagte er.
Einen winzigen Moment lang war Andrej versucht, sich auch diesmal zu weigern, aber dann zuckte er nur mit den Schultern, zog das
Schwert aus der Scheide und reichte es von Salm. Erst danach gab
der Graf dem Mann am Riegel ein Zeichen, die Tür zu öffnen. Er trat
beiseite, um Andrej als Ersten passieren zu lassen.
Andrej gehorchte auch jetzt, obwohl er ahnte, dass es ein Fehler
war. Nachdem er den ersten Schritt durch die Tür getan hatte, wurde
aus dieser Ahnung Gewissheit.
Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Abu Dun befand sich in diesem Raum: Er stand hoch aufgerichtet an der gegenüberliegenden
Wand. Seine weit ausgebreiteten Arme waren mit schweren eisernen
Ringen an die Wand gekettet. Gleichartige, massive Ringe banden
auch seine Fußgelenke an die Mauer. Ein weiteres eisernes Band
umschlang seine Hüfte, und auch sein Hals wurde von einer eisernen
Manschette an die Wand gepresst. Zwei sehr entschlossen dreinblickende Soldaten aus von Salms persönlicher Garde standen rechts
und links des Nubiers. Einer von ihnen zielte mit einer Armbrust auf
die Stirn des schwarz gekleideten Hünen, der zweite hielt eine Hellebarde in den Händen, deren Spitze drohend mitten auf Abu Duns
Herz gerichtet war.
»Was soll das?«, fragte Andrej scharf, wartete von Salms Antwort
jedoch erst gar nicht ab, sondern war mit wenigen Schritten neben
Abu Dun und blieb erst stehen, als der Soldat mit der Hellebarde eine
warnende Bewegung machte. Abu Dun stöhnte. Blut färbte die Spitze der Hellebarde, als er die Waffe wieder zurückzog.
»Ich sehe, Ihr seid der kluge Mann, für den ich Euch gehalten habe«, sagte von Salm. »Gut. Das erspart Eurem Freund unnötige
Schmerzen.«
Zornig drehte sich
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