Die Wiederkehr
Rattenlöchern, die Malik an seine Gäste
vermietete, war dieser Raum geradezu luxuriös: Es gab ein Fenster,
zwei strohgedeckte Betten und sogar einen kleinen Tisch, auf dem
Malik jeden Morgen eine Schale mit frischem Wasser bereitstellte.
Andrej warf die Tür hinter sich zu, eilte zum Tisch und riss sich mit
fliegenden Fingern Jacke und Hemd vom Leib.
Seine Brust war blutüberströmt. Auf der linken Seite, nur ein kleines Stück unterhalb des Herzens, klaffte eine tiefe, noch immer heftig blutende Wunde. Andrej starrte fassungslos an sich herab. Für
einen Moment vergaß er die Schmerzen, den vergangenen Abend,
selbst die Frage, was aus Abu Dun geworden war. Was er sah, war
vollkommen unmöglich!
Draußen wurde es hell. Seit er verwundet worden war, waren Stunden vergangen. Ganz egal, wie schwer die Verletzung auch immer
gewesen sein mochte, sie hätte längst verheilt sein müssen!
Andrej zog den Dolch aus dem Gürtel, hob die andere Hand und
fügte sich einen tiefen, heftig blutenden Schnitt in der Handfläche zu.
Sein Herz begann wie rasend zu hämmern, während er seine Hand
anstarrte und darauf wartete, dass sich die Wunde schloss.
Es geschah, aber langsamer, als er es gewohnt war, viel langsamer.
Und auch der brennende Schmerz ließ nur ganz allmählich nach. Er
musste schier endlos lange warten, bis das Blut allmählich versiegte
und die Schnittwunde zu einer dünnen weißen Narbe wurde, die
schließlich ganz verschwand.
Andrej schloss die Augen und ballte die Hand zur Faust. Es tat weh.
Was war nur mit ihm los? Er spürte, wie ihn erneut Panik ergriff,
aber er zwang sich, Ruhe zu bewahren.
Er war verwundet worden. Es war nicht das erste Mal. Nicht einmal
das erste Mal, dass er so schwer verwundet worden war. Aber vielleicht gab es doch einen Unterschied: Andrej war ein Mann, dessen
Leben aus Kämpfen, Töten und Verwundetwerden bestand. Doch
war er in all den Jahren, seit denen er dieses unstete Leben führte,
noch niemals so oft hintereinander so schwer verletzt worden. Wie
viele Wunden hatten Abu Dun und er bei der Verteidigung der
Stadtmauern davongetragen? Wunden, von denen jede einzelne genügt hätte, einen normalen Menschen zu töten oder wochenlang an
das Krankenlager zu fesseln.
Ja, das musste es sein. Er hatte sich niemals ernsthafte Gedanken
darüber gemacht, ob seiner Fähigkeit zur Selbstheilung Grenzen gesetzt waren, und wenn ja, welche. Möglicherweise war er gerade
dabei, sie zu entdecken.
Hinter ihm polterte es. Andrej fuhr mit einer blitzartigen Bewegung
herum und hob den Dolch, aber es war nur Malik, der - offenbar vom
Lärm angelockt - heraufgekommen war und ihn aus roten Augen
anstarrte. Er sah nicht so aus, als hätte er in der vergangenen Nacht
besonders viel Schlaf gefunden.
»Andrej?«, murmelte er verstört. »Ich… verzeiht. Ich habe Lärm
gehört und…«
Er brach verwirrt mitten im Satz ab und fuhr sich mit einer fahrigen
Bewegung über das Kinn. Die Mischung aus Verwirrung und Schrecken in seinen Augen wurde zu blankem Entsetzen, und plötzlich
wurde Andrej klar, welchen Anblick er bieten musste: Er stand halbnackt und blutüberströmt da, mit einer klaffenden Wunde in der
Brust und einem blutigen Messer in der Hand. Hastig ließ er das
Messer sinken.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte er.
»Alles in Ordnung?«, wiederholte der Wirt ungläubig. »Ihr seid
verletzt!« Er kam einen halben Schritt näher, blieb wieder stehen und
sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein. »Schwer verletzt«,
verbesserte er sich.
»Das ist nichts«, behauptete Andrej. »Ein Kratzer. Er sieht schlimmer aus, als er ist.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung,
um seine Worte zu unterstreichen, aber die Bewegung tat so weh,
dass er dabei schmerzerfüllt die Lippen verzog.
»Ich gehe und hole einen Arzt«, sagte Malik bestimmt.
Andrej schüttelte erschrocken den Kopf. »Das ist wirklich nicht nötig«, sagte er hastig. »Glaub mir, es ist nicht so schlimm.«
»Es sieht ziemlich schlimm aus«, sagte Malik zweifelnd.
»Und es tut auch ziemlich weh«, antwortete Andrej. Er hatte das
Gefühl, dass das genau die Worte waren, die der Gastwirt hören
wollte. »Aber es ist wirklich nicht so schlimm, wie es den Anschein
hat. Es ist nicht das erste Mal, dass ich verletzt wurde.« Er machte
eine neuerliche abwiegelnde Geste, deutlich vorsichtiger diesmal.
»Hast du Abu Dun gesehen?«
Malik starrte weiter wie gebannt auf die blutende Wunde unter Andrejs Herz und
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