Die Wiederkehr
eine junge Frau aus dem Dorf,
in dem ich aufgewachsen bin, und ein Mann, den jeder für einen guten Menschen und Wohltäter der Armen hielt.« Er schüttelte den
Kopf, als Andrej ihn unterbrechen wollte. »Ich habe nie auch nur mit
einem Menschen darüber gesprochen, aber ich weiß, was ich gesehen
habe.«
»Ihr glaubt doch nicht wirklich an… an Werwölfe und Vampyre
und all diesen Unsinn!«, warf Andrej ein. Er hoffte inständig, dass er
überzeugend klang, aber von Salm schüttelte auch jetzt nur den
Kopf.
»Die Frage ist: Glaubt Ihr an all diesen Unsinn, Andrej Delãny«,
sagte er. »Wie gut kennt Ihr Euren Freund wirklich?«
»Abu Dun?« Andrej schüttelte heftig den Kopf. »Gut genug, um
ihm mein Leben anzuvertrauen.«
»Und für ihn zu lügen«, fügte von Salm in resignierendem Ton hinzu. Dann hob er die Schultern. »Gleichwie. Bis zum heutigen Morgen war ich davon überzeugt, dass auch Ihr eines dieser Geschöpfe
seid, deren Existenz Ihr so beharrlich leugnet. Ich bin erleichtert,
mich in diesem Punkt getäuscht zu haben, doch es ändert nichts.«
»Und trotzdem habt Ihr Abu Dun und mich gestern zu Euch bestellt?«
»Habt Ihr es nicht selbst gesagt, Andrej?«, gab von Salm lächelnd
zurück. »Jedes Schwert zählt. Und zwei so vortreffliche Schwerter
wie die Euren verliere ich nur ungern. Und genau da liegt mein Problem. Unser Problem«, verbesserte er sich.
Andrej tat ihm den Gefallen, zu fragen: »Welches?«
»Gerade heraus«, antwortete von Salm. »Ich glaube Euch nicht. Ihr
mögt ein tapferer Mann sein, aber Ihr seid kein guter Lügner. Es ist
schlechterdings unmöglich, dass Ihr Jahre an der Seite dieses Mannes
verbracht haben wollt, ohne zu wissen, was er wirklich ist. Aber das
müsst Ihr mit Eurem Gewissen und Gott abmachen. Und um ganz
offen zu sein, es ist mir gleich, ob Euer Mohr ein Vampyr ist, ein
Werwolf oder der Teufel selbst. Ich kann nicht wählerisch sein in
Zeiten wie diesen. Der Feind steht vor der Tür. Die Übermacht ist
erdrückend. Ich würde es niemals in Gegenwart meiner Generäle
gestehen - aber wenn Ihr mich fragt, ist es nur noch eine Frage von
Tagen, bis die Stadt fällt. Soll er ein paar Tunichtgute und Halsabschneider umbringen, wenn er mag. Wahrscheinlich tut er den Menschen dieser Stadt damit einen Gefallen.«
»Warum habt Ihr ihn dann in Ketten legen lassen?«, wollte Andrej
wissen.
»Weil Euer Freund so dumm war, sich auf frischer Tat ertappen zu
lassen«, antwortete von Salm. »Es herrscht Unruhe in der Stadt. Es
gibt Gerüchte, und die Menschen neigen gerade in Zeiten wie diesen
dazu, Gerüchten zu glauben. Wien wird belagert. In der Stadt
herrscht das Kriegsrecht, und ich bin der Oberkommandierende der
Truppen. Und zu meinen Aufgaben gehört auch, Recht und Ordnung
in der Stadt aufrechtzuerhalten. Schlechte Nachrichten haben Flügel,
und sie werden größer, je schlechter die Nachrichten sind.
Die Geschichte von den Toten, die jeden Morgen ausgesaugt in den
Straßen gefunden werden, verbreitet sich rasch. In der momentanen
Situation haben die Menschen ohnehin Angst, und Menschen, die
Angst haben, suchen begierig nach jemandem, dem sie die Schuld
dafür geben können. Eure Erfolge im Kampf haben Misstrauen gesät.
Man munkelt, kein sterblicher Mensch könne so kämpfen, nur ein
Dämon aus der Hölle. Und nun findet man Euren Begleiter mit blutverschmierten Lippen neben der Leiche eines grausam ermordeten
Jungen. Welche Schlüsse zieht man wohl daraus?«
»Ich denke, Ihr werdet es mir gleich sagen«, vermutete Andrej
spröde. Abu Dun hatte Recht gehabt. Sie hätten niemals hierher
kommen sollen.
Von Salm sah aus dem Fenster, bevor er antwortete. Sie näherten
sich immer mehr dem Stadtzentrum, soweit Andrej dies von seiner
Position aus beurteilen konnte, und obwohl die Straßen nicht nur
immer enger wurden, sondern auch die Zahl der Menschen unaufhörlich zuzunehmen schien, verlor der Wagen nicht an Schnelligkeit.
Dafür wurde der Chor wütender Stimmen und Flüche, der sie begleitete, immer lauter. Andrej sah mehr als einen Mann oder eine Frau,
die der dahinpreschenden Kutsche nur noch mit hastigen Sprüngen
ausweichen konnten. Graf von Salm schien nicht besonders viel
Rücksicht auf die Menschen zu nehmen, die er eigentlich beschützen
sollte.
»Es gibt die… Zeugen«, begann er nachdenklich. »Gottlob waren
meine Männer rasch genug zur Stelle, um zu verhindern, dass sie zu
laut sprachen oder mit zu vielen anderen. Das
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