Die Wiederkehrer
glühen.
„Das hatte ich auch schon ganz vergessen“, murmelte er verlegen und zeigte auf die zarte, fleckige Röte, die sein Gesicht eroberte. Bernd lachte auf, machte einen Schritt auf Niko zu und streichelte ihm sanft die Wange.
„Steht dir aber gut!“, gestand er leise und lächelte. Nikos Augenlider flatterten, er schmiegte sich in die Handfläche. Bernd ließ den Arm sinken, presste nachdenklich die Lippen aufeinander und schaute Niko schweigend an. Von der Küche her drang das Brummen des Kühlschranks und das Ticken einer Uhr, draußen fuhr ein Auto vorbei und eine Taube flatterte angestrengt und landete gurrend irgendwo in der Nähe. Eine Nachbarin rief jemandem, der weiter weg war, etwas zu, ein Mann antwortete mit einem genervten
'Jooo!'
.
„Niko“, formulierte Bernd, als wolle er diesen Namen einfach nur mal aussprechen, oder sich seinen Klang einprägen.
„Hm?“, brummte Niko erwartungsvoll. Bernds Blick machte ihn ganz verrückt. Der
Mann
machte ihn verrückt. In diesen Minuten, in diesem Zimmer, machte es Niko nichts aus, dass Bernd ein Kerl war und dass er sich zu einem Mann hingezogen fühlte. Vielleicht lag es ja an dem Hormoncocktail, den der Orgasmus seinem Körper ausgegeben hatte, aber Niko fühlte mehr für Bernd. Er konnte sich vorstellen, sich in seine Arme zu schmiegen. Bernd war wenige Zentimeter größer als er selbst. Wie es wohl war, sich an einen größeren Menschen zu lehnen? Vorhin, als Niko auf dem Stuhl gesessen und Bernd vor ihm gekniet hatte, konnte er diese Erfahrung nicht machen. Aber er wusste nun wie es war, wenn man von einem stärkeren Menschen gehalten wurde. Er wollte es wieder.
„Ich werde wieder an die Arbeit gehen“, erklärte Bernd und lächelte Niko liebevoll an.
„Das heißt, ich geh dann mal wieder rauf“, folgerte Niko und versuchte, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Er drehte er sich um und steuerte die Wohnungstür an, da packte Bernd schnell seinen Unterarm.
„Warte“, sagte er sanft und Niko ließ sich nur zu gerne aufhalten.
„Ich will
das hier
… fortführen“, gestand Bernd, lächelte unsicher und schluckte schwer.
„Wie meinst du …“, begann Niko und unterbrach sich. Na, wie konnte Bernd das schon gemeint haben! So naiv war Niko nun auch wieder nicht. Fortführen … wie weit war das? Bis ins …
Bett?
Natürlich! Sie waren erwachsene Männer und sie würden Sex haben. Schon bald.
Das
bedeutete fortführen. Sie würden sich in absehbarer Zeit nackt in den Laken wälzen und nicht bloß küssen. Niko müsste Bernds Schwanz in den Mund nehmen und vielleicht würde er diesen Mann sogar ficken. Bei diesen Überlegungen wurde Niko ganz schwummrig. Groteske Gedanken, groteske Bilder.
„Das hier“, raunte Bernd, machte einen energischen Schritt auf Niko zu und küsste ihn. Weich, kurz, aber nachdrücklich und für einen kurzen Moment glitt auch seine Zunge in Nikos Mundhöhle. Der Kuss war viel zu schnell vorbei, aber er machte nachdrücklich klar, dass sie sich
definitiv
nackt in den Laken wälzen würden. Und einander die Schwänze lutschen. Und vielleicht noch mehr.
„Okay“, krächzte Niko, drehte sich um und stürmte aus Bernds Wohnung, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er raste die Treppen hoch, stolperte in seine eigenen vier Wände und knallte die Tür hinter sich zu. Puh. Was. Hatte. Er. Eben. Getan? Hier, allein in dem eigenen, schlichten Wohnzimmer, konnte Niko gar nicht fassen, was er nur ein Stockwerk tiefer gemacht hatte. Wie hatte er sich nur
so
gehen lassen können?
Niko fühlte sich hin und her gerissen zwischen Scham, diffusen Schuldgefühlen und heller Aufregung. In einer Sekunde seufzte er, jauchzte regelrecht, wollte ihm vor Glück fast der Brustkorb platzen, in der nächsten Sekunde legte sich kalte, klamme Angst wie ein lähmender Mantel um ihn, streng und gnadenlos. So verwirrt, so zerstreut, so übervoll von Emotionen, hatte er sich noch nie gefühlt. Doch! In Ansätzen. Als er fünfzehn gewesen war und in eine Mitschülerin verknallt.
Hanna. Gott, wie sehr – und auf welch unschuldige Weise – hatte er sich nach ihr verzehrt. Die holprigen, naiven Liebesgedichte, die er ihr geschrieben aber nie überreicht hatte, zerriss er später, als sie mit Jürgen ging. Blöde Schnepfe. Damals hatte er dann die schwarze Phase eingeleitet und sein Image als philosophischer Menschenfeind zelebriert. Er las Texte von Nietzsche und Schopenhauer, ohne sie richtig zu verstehen – einfach, weil
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