Die Wiederkehrer
füllte Bernd zwei Gläser, schob Niko eines davon hin und leerte seins in einem Zug. Dann wandte er sich zu Niko herum, lehnte den Hintern gegen die Arbeitsfläche und verschränkte wieder auf diese typische Art die Arme.
„Was war es bei dir?“, fragte er und musterte Niko interessiert. Dieser begriff nicht. „Als du zurück durftest“, half Bernd ihm auf die Sprünge.
„Du meinst …“
„Die Todesursache, ja.“
„Todes...?“ Niko wurde blass.
„Ja. Wie bist du gestorben?“, wollte Bernd wissen.
„Ich bin nicht … ich … hätte im Koma gelegen“, erklärte Niko. Die Geilheit schrumpelte zusammen wie ein Ballon, dem die Luft ausging.
„Koma?“ Bernd hob irritiert die Augenbrauen. „Du kannst nur zurück, wenn du tot warst.“
„Aber ich hab Fotos gesehen“, stammelte Niko. „Schlimme Fotos.“
„Was für Fotos?“, wollte Bernd wissen und Niko schilderte sie ihm. „Vielleicht warst du ja im Koma, ohne davon etwas mitzukriegen“, mutmaßte Bernd.
„
Achtundzwanzig Jahre?“
, stieß Niko empört aus. Ihm wurde schlecht. Konnte es möglich sein, dass achtundzwanzig Jahre vergangen waren und er nichts davon bemerkt hatte? Nicht eine einzige Sekunde?
„So lange!“, staunte Bernd und rechnete kurz nach, „Dann bist du älter als ich!“
„Nein, das kann nicht sein. Ich müsste mich doch daran erinnern. Ich kann mich noch nicht einmal an den Unfall erinnern, oder daran, gestorben zu sein, ich war einfach plötzlich …“
„
Das
ist die Aufgabe von Schutzengeln“, erklärte Bernd und nickte, um die Aussage zu bekräftigen. „Ich habe meinen Tod auch nicht gemerkt“, gestand er. „Vielleicht hat dich dein Schutzengel sogar vor der Erfahrung des Komas bewahrt. Meiner sagte, man kann nur
einmal
sterben. Deswegen holen sie einen kurz vorher, wenn sie einen zurückschicken.“
„Aber dann wäre ich …
achtundfünfzig!“
Niko war der Panik nahe. Er schnaubte, fuchtelte mit den Armen herum. „Ich hätte die
andere
Hälfte meines Lebens
auch nicht
mitgekriegt!“
„
Das hier
ist die andere Hälfte“, sagte Bernd beruhigend und machte eine Geste, die das Hier und Jetzt darstellen sollte. Niko wankte, rang um Luft, ihm war schwindlig und schlecht. Bernd machte einen Schritt auf ihn zu, legte behutsam die Arme um ihn und drückte Niko an seine Brust. Genau das brauchte dieser jetzt. Niko schlang die Arme um Bernds Körper und presste die Nase an dessen Hals. Er konnte nicht anders, als den Duft dieses Mannes aufzusaugen.
„Es war also ein Unfall“, schlussfolgerte Bernd.
„Gewissermaßen“, gestand Niko und löste sich aus der Umarmung. Sollte er es Bernd sagen? Sollte er ihm gestehen, dass er sich hatte umbringen wollen? Niko schämte sich dafür. Andererseits, wenn er mit Bernd nicht darüber sprach – mit wem dann? Und mit irgendjemandem
musste
er über diese Erfahrung reden. „Es war kein Versehen, wenn du verstehst was ich meine“, nuschelte er, senkte den Blick und spürte, wie sich die Kehle langsam zuschnürte. Niko war überwältigt von der Wirkung, die es hatte, es auszusprechen. Es war das allererste Mal überhaupt, dass er jemandem davon erzählte. Er hatte sich …
umgebracht!
Niko biss die Zähne aufeinander. Sein Kinn bebte, seine Mundwinkel wackelten, die Augen brannten. Bloß nicht heulen! Fast eine ganze Woche hatte Niko den Aspekt seiner Wiederkehr weit weg geschoben. Er hatte sich schlicht geweigert, über die letzten Stunden seines alten Lebens nachzudenken, darüber, wie es auseinandergebröckelt war.
„Niko“, sagte Bernd leise und mit besorgter Stimme, schaute ihn mitfühlend an und legte eine Hand auf Nikos Arm. Nicht heulen! Männer weinen nicht. Kinder weinen. Frauen weinen. Männer nicht! Doch Bernds liebevolle Geste ließ Dämme brechen, riss Schutzwälle ein. Noch kämpfte Niko mit aller Kraft gegen die Flut seiner Emotionen an, wuchtete Sandsack um Sandsack gegen die aufkeimende Verzweiflung. Nein, er wollte nicht daran denken, nicht zulassen, dass das alte, verkorkste Leben nach ihm griff, sein neues, gutes Leben berührte. Es war Vergangenheit, es würde nie passieren.
„Komm her“, murmelte Bernd und war es doch selbst, der Niko entgegenkam. Er legte eine Hand auf Nikos Schulter, ließ sie zum Hals gleiten, schob sie warm und tröstend in den Nacken. Zärtlich, behutsam zog er Niko zu sich. Die andere Hand fand ihren Weg von der Taille bis auf den Rücken. Niko würgte ein Schluchzen heraus. Wie sollte er sich da
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