Die Wiederkehrer
glaube, das weißt du sehr genau“, meinte er mit rauer Stimme, streckte die Hand aus und ergriff Nikos Finger. Wow. Die Art, wie Bernd zeigte, dass er ihn wollte, zündete mit Lichtgeschwindigkeit bis in Nikos Unterleib.
„Und warum wolltest du dann wissen, wie ich … na du weißt schon?“, fragte Niko. Bernds Miene verschloss sich, er ließ die Finger los und drehte Niko den Rücken zu. Er griff nach der Flasche und füllte sein Glas neu, ließ sich dabei Zeit. Nikos Herz zog sich zusammen. Er betrachtete Bernds Rücken, seinen Nacken, die Locken. Am liebsten wollte er einen Schritt auf ihn zu machen, die Nase in seinem Haar vergraben und die Arme um ihn schlingen.
„Goldener Schuss“, murmelte Bernd schließlich leise. Und genau so traf Niko dieses Geständnis: Wie ein Schuss mitten in die Brust. Bernd stützte sich mit beiden Händen auf der Arbeitsfläche ab, dabei schoben sich seine Schultern nach oben und er ließ den Kopf hängen. Von hinten sah es fast aus, als hätte er keinen. Nikos Kehle war staubtrocken.
„Scheiße“, krächzte er geschockt.
„Ja … ja, das trifft es wohl ziemlich präzise“, meinte Bernd zynisch und ließ sich so weit nach vorn kippen, bis seine Stirn gegen den Oberschrank stieß. Mit Drogen kannte sich Niko nicht aus, aber er hatte immer geglaubt, Leute, die sich auf diese Weise ins Jenseits katapultierten, wären maximal Mitte zwanzig. Betretenes Schweigen. Niko fühlte sich hilflos. Er traute sich nicht, dem Impuls zu folgen, sich von hinten an Bernd zu schmiegen und ihm die Arme um die Brust zu schlingen. Es war wie immer mit solchen Geständnissen. Er fühlte sich verloren. Überflüssig. Deplatziert. Er konnte nicht so … warm … darauf reagieren wie Bernd. Diese Selbstsicherheit hatte er nicht. Er befürchtete, damit unverschämt zu sein, jemanden zu kompromittieren, sich lächerlich zu machen. Er wollte nicht, dass es eine aufgesetzte Geste war, Heuchelei, ein Schauspiel – aber er fürchtete, dass es das wäre, so unbeholfen wie er war. Es war wohl das Klügste, wenn er Bernd sich selbst überließ. Niko konnte hier nichts tun, außer durch sein Zuschauen dafür zu sorgen, dass sich Bernd noch schlechter fühlte.
„Deswegen konnte ich dir nicht helfen. Beim Aufräumen nach deiner Party“, kam es schließlich von Bernd. Er drehte sich herum und schaute Niko traurig in die Augen. Er registrierte anhand dessen Körperhaltung, dass dieser im Fluchtmodus war, beschloss aber, das zu ignorieren. Niko fühlte, wie seine Füße mit dem Bodenbelag verschmolzen.
„Das war mein Leben. Zumindest in den letzten Jahren. So, wie deine Wohnung ausgesehen hat, so sah meine immer aus. Es waren dauernd irgendwelche Leute da, die ich nicht kannte … Niko, ich hab so richtig Scheiße gebaut und ich begreife selbst nach drei Jahren nicht, warum mein Schutzengel glaubt, dass das
seine
Angelegenheit wäre.
Ich
habe die falschen Entscheidungen getroffen,
ich
habe das Zeug genommen. Bis zu dem Tag als ich … bis ich … hierher zurück gekommen bin, habe ich nicht an Engel geglaubt, oder an Gott oder sonst etwas. Ich tu es auch heute noch nicht – trotz allem.“ Bernd schnaubte, zuckte mit den Schultern, schüttelte leicht den Kopf. „Was ist mit den Entscheidungen, die ich
jetzt
treffe? Sitzt da auch mein blöder Schutzengel herum und meint, das wäre
sein
Werk?“ In Bernds Blick schob sich der Ausdruck einer verzweifelten Frage. Er hatte recht. Niko hatte sich diese Frage auch schon gestellt. Hatte er sich nicht selbst für Karin entschieden, für den Job, dafür, sein Leben wie unter einer Milchglaskuppel zu verbringen?
„Was ist das mit uns?“, fragte Bernd. Niko starrte ihn betroffen an. Was sollte mit ihnen sein? „Entscheiden wir uns füreinander – oder machen das unsere …?“ Bernd formte mit den Händen flatternde Flügel. Nikos Herz raste. Er fühlte sich ertappt. Sein Schutzengel hatte tatsächlich von ihm verlangt, schwul zu werden. Auf der anderen Seite aber handelte Niko entgegen Harrys Willen. Er war hier bei Bernd und nicht bei Raffael Hagen. Niko hatte sich in den falschen Mann verliebt. Sein Leben lang hatte sich Niko stur nach den Forderungen aller anderen ausgerichtet – aber in diesem, im vermutlich wichtigsten Fall – widersetzte er sich.
„Es ist unsere eigene Entscheidung“, behauptete er. Niko fühlte sich wie ein Rebell. Er trotzte den Fügungen des Schicksals. Schon ein zweites Mal. Erst durch die Rückkehr in sein früheres
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