Die Wiederkehrer
zusammenreißen, wenn er so berührt wurde? Wie sollte er hart bleiben, wenn man weich zu ihm war? Er konnte nicht mehr. Ergeben fügte er sich Bernds Umarmung, schmiegte sich an ihn. Der streichelte seinen Kopf, kraulte ihm den Nacken, drückte seine Lippen gegen Nikos Hals.
Oh Gott. Da war sie wieder, diese furchtbare, tiefe Traurigkeit, wie in dieser schlimmen Nacht vor seinem Tod. Niko schlang die Arme um Bernd, krallte sich regelrecht an ihm fest und begann bitterlich zu weinen. Wie in dieser Nacht fühlte es sich so an, als würde er sich nie wieder beruhigen, müsste ab nun für alle Zeit schluchzen und heulen wie ein kleines Kind. Doch etwas war anders. Er wurde gehalten. Starke Arme hielten ihn, behutsam, sicher, nahmen den Sturz der Verzweiflung einfach auf. Er wurde nicht weggeschubst. Nicht für ein Weichei gehalten. Bekam keinen Extrahieb, nur weil er Schwäche zeigte. Niemand zwang ihn, hart zu bleiben, hart zu werden und Härte zu beweisen. Niemand gab ihm das Gefühl, seine Tränen wären nur ein weiterer Affront, ein Angriff, eine Beleidigung. Bernd hielt ihn einfach nur fest und streichelte zärtlich über Kopf und Rücken. Er machte keine Vorwürfe, verlangte nicht, endlich damit aufzuhören wie ein Mädchen zu flennen, lachte nicht über Niko. Bernd nahm den Weinkrampf entgegen wie eine Welle, als wüsste er, dass diese ihn nicht umwerfen konnte und vorbeigehen würde. Und sie ging vorbei. In Nikos Herz und seiner Seele breitete sich plötzlich Wärme aus. Gewissheit, dass er okay war. Das
es
okay war. Dass er nicht zugrunde ging, sich nicht auflöste, nur weil er fühlte und das auch zeigte. Da war jemand, der blieb. Ihn hielt.
Weiche, sanfte Küsse, die nicht forderten sondern schenkten, berührten Nikos Hals, während zärtliche Finger immer noch seinen Nacken massierten. Bernds Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, ruhig. Er mutierte nicht zu einem Monster, nur weil Niko heulte und die Welt stand immer noch. Doch es war das eine, die Trauer eines Menschen aufzufangen, etwas ganz anderes, zu erfahren, dass dieser sein Leben weg geworfen hatte. Welch tragisches Ereignis Bernd auch immer so früh aus dem Leben gerissen hatte, es musste ihm töricht erscheinen, überheblich, undankbar, sein eigenes Dasein so mit Füßen zu treten. Suizid mit dreißig, und das wegen … Lappalien, denn mehr waren es nicht. Wie erbärmlich. Niko löste sich aus der Umarmung, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, schniefte und blickte Bernd furchtsam in die Augen.
„Du findest das bestimmt widerlich – sein Leben so wegwerfen“, murmelte Niko beschämt und senkte den Blick. Er wollte sie nicht sehen, die Abscheu, die Verachtung, den verdienten Vorwurf für diese unreife, hochmütige Tat.
„Oh Gott, nein!“, stieß Bernd völlig perplex aus, legte die Hände um Nikos Wangen und hob dessen Gesicht an, suchte den Augenkontakt. „Wer wäre ich denn, … meine Güte!“ Er lächelte Niko auf so wunderbare Weise an, dass diesem das Herz aufging. „Wie kommst du bloß auf diesen Unsinn, dass ich das Recht hätte, dich zu verurteilen? Nicht einmal wenn ich wüsste, was dich dazu gebracht hat, stünde mir
das
zu. Himmel, Niko!“ Bernd lachte, als gäbe es in der Tat nichts Absurderes auf dieser Welt, als jemanden dafür zu verurteilen, dass er sich umgebracht hatte, schlang die Arme um Niko und wiegte sich mit ihm hin und her. Wow!
„Und du?“, nuschelte Niko an dessen Hals. Bernd hielt mitten in der Bewegung inne. Sein Atem stockte, dann schnaubte er, quetschte Niko kurz fest an sich und löste die Umarmung. Bernd machte eine Schritt zurück, stieß mit dem Hintern gegen die Arbeitsfläche. Sein Blick raste ruhelos über Nikos Gesicht, gleichsam forschend und furchtsam.
„Das willst du nicht wissen!“, behauptete er knapp. Es fühlte sich an wie eine Abfuhr. Es
war
eine Abfuhr. Nach dem, wie Bernd ihn gerade getröstet hatte, war Niko davon ausgegangen, er würde ihm vertrauen. Immerhin hatte Niko ihm seinen Suizid gestanden!
„Warum hast du mich hereingebeten“, fragte Niko. Das war eine berechtigte Frage. Nicht, dass Niko darauf beharren wollte – bloß nicht! – aber wollten sie nicht eigentlich Sex haben? Stattdessen standen sie hier in der Küche und redeten über den Tod. Über
ihren
Tod.
In Bernds Gesicht huschte ein schiefes Grinsen und er kratzte sich verlegen den Nacken. Er blickte Niko mit einer Mischung aus Scheu und Verlangen an, biss sich dabei auf die Lippen.
„Ich
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