Die Wiederkehrer
der dort lag. Ja, jenes peinliche Gedicht, das Niko gestern Nacht verfasst hatte. Oh, Gott, er hatte tatsächlich einen lächerlichen Erdbeerkussmund hinterlassen! Niko wurde schwindelig und er kämpfte gegen das Bedürfnis an, den Beweis seiner Suffpoetik schnell verschwinden zu lassen. Aber es war zu spät dafür. Bernd hatte es schon gelesen und … er hatte darauf geantwortet!
„Ist das Erdbeermarmelade?“, fragte Bernd erheitert und nickte zu dem Gedicht.
„Das war eine total bescheuerte Aktion …“, nuschelte Niko.
„Manchmal braucht es bescheuerte Aktionen“, erklärte Bernd sanft, machte einen Schritt auf Niko zu, legte einen Finger unter dessen Kinn und hob es an, um ihn zärtlich zu küssen. Niko stöhnte auf. Die Berührung war überwältigend! Er wollte die Arme um Bernd legen, sich an ihn schmiegen, da zog dieser sich schon wieder zurück.
„Warum hast du das gemacht?“, fragte Bernd und warf einen kurzen Blick zu dem Gedicht.
„Ich war besoffen, ich hab … nicht nachgedacht. Es ist mir unsäglich peinlich. Können wir es nicht einfach … vergessen?“, stammelte Niko.
„Nein“, erklärte Bernd entschieden, „Nein, wir können es nicht
einfach
vergessen. Zumindest will
ich
es nicht einfach vergessen. Verteilst du jedes Mal, wenn du betrunken bist, Liebesgedichte?“
„Nein!“, rief Niko aus. Oh. Verdammt. Er schloss die Augen, schluckte und schüttelte leicht den Kopf. „Ich war … es ist …“
„Das heißt, das ist dann doch mehr, als eine betrunkene Sache, richtig?“, fragte Bernd. Nikos Herz raste. Er fühlte sich in die Enge getrieben. Es war leichter, sturzbetrunken und mindestens ein Stockwerk entfernt zu sein, um seine Gefühle zu offenbaren. Hier, nüchtern und direkt vor dem Mann, dem sie galten, war das eine reine Tortur. Dem fühlte sich Niko nicht gewachsen.
„Was geht dich das an?“, fauchte er und funkelte Bernd, der irritiert zurückschreckte, wild an.
„Du hast es mir zukommen lassen. Da dachte ich, es ist …“, Bernd musterte Niko eingehend, in dessen Gesicht die blanke Furcht stand, dann schnappte er den Zettel, zerknüllte ihn, und meinte: „Okay, du hast recht. Vergessen wir das.“ Er warf das Gedicht über die Schulter auf den Boden. Nikos Herz krampfte sich zusammen.
Das
hatte er auch nicht gewollt.
„Warum hast du mir geantwortet?“, fragte Niko verschämt.
„Das war ein Irrtum“, murmelte Bernd und seine Haltung verriet zunehmende Distanz, wie beim letzten Mal, nachdem sie …
„Irrtum?“, faselte Niko.
„Ich war davon ausgegangen, du hättest mir mit dem Gedicht etwas sagen wollen. Offenbar habe ich mich da geirrt, also vergiss einfach, was ich darauf geantwortet habe.“
„Nein!“, bestand Niko darauf. „Ich kann es nicht
einfach
vergessen.“ Sie sahen einander an, dann mussten sie grinsen, schließlich lachen.
„Ich bin so froh, dich zu sehen“, erklärte Niko ausgelassen. Bernd blickte ihn verblüfft an.
„Ich auch!“ Er sagte das, als stelle er gerade eine physikalische Abnormität fest.
„Aber warum hast du dich dann … zurückgezogen?“, wollte Niko wissen.
„Ich habe mich …? Ich habe mich nicht …! Wie kommst du darauf, dass ich mich zurückgezogen hätte?“, fragte Bernd überrascht.
„Na aber … du … warst nicht auf dem Balkon und du hast nicht geöffnet, als ich geläutet habe“, erklärte Niko.
„Du hast bei mir geläutet? Ehrlich?“ Bernd funkelte Niko erstaunt an. Dieser fühlte sich wie ein dummer Teenie, der seinem Schwarm hinterherlief. Total blamiert und lächerlich.
„Warum überrascht dich das?“, knurrte Niko, „Du tust so, als wäre nichts geschehen. Weder im Guten noch im Schlechten!
Du
hast damit angefangen, dass wir
das
fortführen wollen. Für
mich
bedeutet das etwas mehr, als ein oder zwei Mal Sex haben! Mich hat vor den Kopf gestoßen, wie du letztes Mal reagiert hast … es hat mich …
verletzt
.“ Was tat Niko da? Er war dabei, sich total zum Deppen zu machen. Andererseits – er hatte mit dem Gedicht eine steile Vorlage geliefert – viel schlimmer konnte er es nicht mehr machen. „Ich habe irgendwie geglaubt, wir wären …
zusammen“,
meinte Niko leise. Dann krachte eine schlimme Erkenntnis in sein Bewusstsein. „Scheiße“, fluchte er, „Ich mache denselben Fehler schon wieder. Ich sehe eine Beziehung, wo gar keine ist. Vermutlich war das mit Karin dasselbe – bisschen Sex und ich dachte, wir wären ein Paar, und zehn Jahre später stellt
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