Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wiederkehrer

Die Wiederkehrer

Titel: Die Wiederkehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kooky Rooster
Vom Netzwerk:
Weise hatte zukommen lassen wollen. Mit der Marmelade hatte er – und das war so peinlich, dass er es gar nicht richtig denken wollte – einen Kuss unter den schändlichen Beweis seines Suffkitsches gedrückt. Er hatte eben keinen Lippenstift und offenbar war Erdbeermarmelade das Naheliegendste gewesen. Villon, du Arsch mit deinem Erdbeermund. Welch fatale Assoziation.
    Immerhin – wie es aussah, hatte Bernd weiterhin den Balkon gemieden und ihm war somit das peinliche Zeugnis dieser Alkopoesie erspart geblieben. Kurz vor dem Wiedereintritt in den Atheismus schlug Niko ein Kreuz. Rasch holte er den Faden ein, wie ein Fischer ein Netz voller … nunja …
Fische
, und band ihn vom Geländer los. Er trug ihn in die Küche und stopfte ihn mitsamt dem Papierröllchen in den Müll. Nachdem er auch die anderen Zeugnisse seiner feuchtromantischen Nacht entsorgte hatte, leerte er, nur um sicher zu gehen, Kaffeesud über die peinlichen Beweise seiner stümperhaften Dichtkunst. Wie gut, dass nie ein Mensch diese Zeilen lesen würde.
    Mit dem Symbol der Läuterung – einem Glas Leitungswasser – ließ sich Niko ins Sofa sinken und stöhnte auf. Was für ein Stress!
    Als riefe ihn jemand, wanderte sein Blick immer wieder zum Mülleimer. Nein. Was für ein blöder Gedanke. Niko nippte am fahlen Getränk und schielte doch immer wieder zum Endlager seiner poetischen Ergüsse. Irgendetwas ließ ihm keine Ruhe, machte ihn nervös. Nun, es war nicht
irgendetwas,
sondern etwas ganz bestimmtes: Die alberne Hoffnung eines verliebten Jungen. So. Nun war es raus. Niko zwang sich, von den absurden Erwägungen Abstand zu nehmen. Lächerlich. Total lächerlich. Nein, niemals, niemals, niemals würde …
    Schließlich konnte er doch nicht anders, erhob sich, trat vor den Mülleimer und glotzte hinein. Es war naiv, töricht, völlig verrückt – aber Niko wollte es wissen. Er pickte den Faden heraus und zog daran, bis er das vom Sud bröselig-braune und eingeweichte Papierröllchen in Händen hielt. Mit nervösen Fingern schob er es aus dem sorgfältigen Knoten und entrollte es, strich es glatt.
    Niko stieß ein überwältigtes Ächzen aus, dann wurden seine Knie so weich, dass er vor dem Mülleimer auf den Boden sank. Das war nicht seine Handschrift. Es war nicht sein Gedicht. Nikos Finger begannen zu zittern, sein Herz polterte und die Lippen bebten, als er die Zeilen das erste Mal las:
    In jenem Moment geboren,
in dem die ganze Welt
ein Blick in deine Augen war.
    I
n jener Stunde verloren,
in der dein Abschied,
die Antwort auf mein Schweigen war
    Nikos Blick wurde verschwommen und bald kullerten Tränen über seine Wangen. Er las die Zeilen immer und immer wieder. Er kniete vor dem stinkenden Eimer und schluchzte vor sich hin. Männer weinen manchmal, denn sie haben ein Herz.
    Nachdem Niko sich wieder gefasst hatte, erhob er sich, stürzte aus seiner Wohnung, die Treppen runter, blieb schwer atmend und aufgeregt vor Bernds Tür stehen. Hastig betätigte er die Klingel, drückte seinen Finger immer wieder auf den Knopf. Bernd öffnete nicht. Niko presste das Ohr gegen das Türblatt, lauschte. Von drinnen ertönte eifriges Tippen. Bernd war also zu Hause. Niko klopfte an. Erst leise, dann heftiger. Keine Reaktion. Er rüttelte am Knauf, aber Bernd hatte abgeschlossen. Wütend und verzweifelt trat Niko gegen das Türblatt, dann stürzte er wieder in seine Wohnung hinauf, lief dort unruhig hin und her. Warum öffnete Bernd nicht? Er konnte ihm nicht so ein Gedicht schreiben und ihm dann ein Gespräch verwehren. Niko musste ihn sehen, musste mit ihm reden. Jetzt!
    Entschlossen stürmte Niko auf den Balkon und neigte sich über das Geländer, blickte hinunter. Es war eine irre Idee, es war gefährlich – aber er musste es tun!
    Kurz entschlossen schwang Niko erst ein Bein über das Geländer, dann das andere, stand an der Außenseite über dem Abgrund und klammerte sich fest. Als er einen Blick in die Tiefe wagte, begann er zu schwanken! Verdammt, er hatte Höhenangst. Wie viele Meter das waren, bis zum Aufschlag? Sieben, zehn, zwölf? Niko krallte sich am Geländer fest, schluckte schwer, fasste Mut und hangelte sich langsam runter. Zunächst tapste er mit den Füßen ins Leere, hatte schon die Panik, dass er sich völlig verschätzt hatte, dann erwischte er aber doch noch das Geländer von Bernds Balkon. Die Fäuste noch fest um die Verstrebungen der Brüstung geschlossen, stand Niko mit den Zehnspitzen auf dem Geländer des Balkons

Weitere Kostenlose Bücher