Die Wiege des Windes
schüttelte den Kopf. »Er hatte Familie, ihn in die Hand zu bekommen, war wesentlich einfacher. Sie hatten ihn gleich am ersten Abend in Sankt Petersburg in der Tasche.«
»Was heißt das?«, fragte Trevisan.
»Mädchen. Kleine Mädchen und er mitten drin. Verstehen Sie, was das für ihn bedeutet hätte, wenn die Fotos an die Öffentlichkeit gelangt wären? Für ihn und seine Familie? Auf den Fotos war nicht zu erkennen, dass er stockvoll gewesen ist und nicht mehr wusste, was er tat. Das hätte ihm sowieso niemand geglaubt. Und als es dann brenzlig wurde, sah er nur noch einen Ausweg.«
Trevisan wusste, was Liebler damit meinte. Winterberg hatte sich umgebracht, weil er seine Familie schützen wollte. Selbstmord als Selbstschutz. Eine groteske Situation. »Und wie war das mit Esser?«
Liebler atmete tief ein. »Er ist ein Moralist. Durch und durch. Er hatte Prinzipien und eine grüne Seele. Ich habe mit Engelszungen auf ihn eingeredet. Es ging doch nur um einen kleinen Streifen im Sand. Zwanzig oder dreißig dieser fetten und nach Fisch stinkenden Kreaturen. Was hätte es ausgemacht, wenn sie einfach ein paar Kilometer weiter gezogen wären? Romanow und seine Bande machten Druck. Die Tiere mussten verschwinden. Nur dann konnte die Schutzzone zurückgestuft werden.«
»Und da kamen Sie auf die Idee mit den Forschungsarbeiten draußen im Watt und erteilten die Genehmigung«, mutmaßte Trevisan, doch Liebler schüttelte den Kopf.
»Die Genehmigung wurde von Winterberg erteilt, ich habe sie lediglich gegengezeichnet. Esser wollte das zwar verhindern, aber ich konnte ihn überzeugen, schließlich ging es um Politik. Die Robben verschwanden nach einiger Zeit und das Gebiet lag sechs Monate brach. Es hätte längst zurückgestuft werden können, aber Esser verschleppte die Angelegenheit. Er glaubte, dass die Viecher eines Tages wieder zurückkehren würden. Ich versuchte, ihn zu überzeugen, doch er wich mir ständig aus. Dabei war es so dringend, die Zeit lief uns davon.«
»Deshalb sollte er sterben?«
»Von Mord war nie die Rede«, widersprach Liebler. »Esser sollte außer Gefecht gesetzt werden, bis die Sache erledigt ist. Es hätte keine vier Wochen gedauert, denn es war ja alles vorbereitet. Teilgenehmigungen lagen bereits vor. Ein kleiner Unfall, ein gebrochener Fuß oder Arm. Irgend so etwas. Und dann kam die Briefbombe. Ich war selbst wie vom Donner gerührt.«
»Wussten Sie davon, dass Larsen und Friederike van Deeren selbst draußen im Watt Nachforschungen angestellt und das Verschwinden der Tiere in einem Bericht festgehalten hatten?«
»Die Studie ist mir bekannt«, bestätigte Liebler. »Es gab sogar Drohungen, weil dieser Larsen Esser für diese Entwicklung die Verantwortung zuschob. Es war paradox, zwei eiserne Umweltschützer zerfleischten sich gegenseitig.«
»Wusste Romanow davon?«
Liebler nickte. »Ich hatte ihm Friederike van Deerens Arbeit zukommen lassen.«
»Wissen Sie, dass Sie damit auch das Leben von Larsen und Friederike van Deeren aufs Spiel setzten?«, fragte Trevisan.
Liebler nickte wiederum. »Zuerst lachte Romanow über das Papier, doch als sich dieser militante Umweltschützer auf Romanows Schiff umsah, eine CD entwendete und die Computeranlagen sabotierte, indem er Wasser in die empfindlichen Geräte goss, kamen ihm Bedenken, man könnte anhand der Daten auf der CD einen Zusammenhang feststellen. Außerdem brauchte er den Datenträger, weil ein Teil der Speicherelemente auf den Computern zerstört worden waren.«
Trevisan verstand. »Wir haben diese CD gefunden. Sie wird gerade noch ausgewertet. Was genau befindet sich darauf?«
Liebler schaute zu Boden. »Die Männer auf dem Schiff sollten den günstigsten Verlauf für die Stromtrasse herausfinden. Sie haben die Beschaffenheit des Bodens analysiert und die günstigste Strecke vermessen. Die Ergebnisse müssten auf der CD sein. Falls irgendein Hacker die Datensätze entschlüsselt, könnte man daraus vielleicht Rückschlüsse über die Art des Zustandekommens ziehen. Romanow ist Perfektionist. Er hasst es, wenn er vom Zufall abhängig ist. Es ließ ihm keine Ruhe, deswegen schickte er seine Leute, um die CD zurückzuholen.«
»Wussten Sie, welche Folgen diese Suche hatte?«
Liebler schüttelte den Kopf. »Ich habe mit alledem, was mit Larsen und dem Mädchen passiert ist, nichts zu tun. Ich wollte auch nichts davon wissen, glauben Sie mir. Selbst von dem zweiten Anschlag auf Esser hatte ich keine Ahnung. Nach dem
Weitere Kostenlose Bücher