Die Wiege des Windes
Bahnfahrkarte nach Bremen entdeckt. Der Tag stimmte mit den Angaben von Vargösz über das Treffen im Hilton überein. Vielleicht würden diese Details Lieblers Gesprächsbereitschaft erhöhen.
Kirner veranlasste per Telefon die Fahndung, dann startete er den Wagen. »Mal sehen, ob Sie recht behalten. Ach ja, ich vergaß fast: Der Tote aus der Strandhütte heißt Viktor Negrasov und war Romanows langjähriger Vertrauter. Der Mann fürs Grobe sozusagen. Liegt alles auf Ihrem Schreibtisch, bis wir wieder nach Wilhelmshaven kommen.«
»Dann sagt Vargösz offenbar die Wahrheit«, entgegnete Trevisan.
»Ja, und jetzt schauen wir, ob zwei Stunden in der Zelle der Kollegen eine moralische Wirkung auf Liebler gehabt haben oder ob er bei seinem Entschluss bleibt und schweigt.«
Trevisan lächelte. »Es sind jetzt fast vier Stunden. Und unsere kleinen Entdeckungen verleihen ihm vielleicht noch einen zusätzlichen Impuls.«
*
15.36 Uhr zeigte die nüchterne Digitaluhr an der Wand des Vernehmungszimmers in der Oldenburger Gewahrsamseinrichtung der Polizeiinspektion. Hier waren nicht nur festgenommene Straftäter zeitweise untergebracht, sondern vor allem auch Betrunkene, Randalierer oder Männer, die nach einem Hausstreit ihre Familie terrorisiert hatten. Die Zellen, drei Meter lang und knapp zweieinhalb Meter breit, mit zwei kleinen, vergitterten Lichteinlässen – den Ausdruck Fenster verdienten diese Maueröffnungen nicht –, einer einfachen französischen Toilette und einer gemauerten Liege mit spartanischen Holzauflagen sollten keine Behaglichkeit aufkommen lassen. Sie waren nur für einen vorübergehenden Aufenthalt vorgesehen. Niemand sollte hier länger in Haft bleiben als achtundvierzig Stunden.
Auch Horst Liebler würde hier nur bis zur Vorführung beim Haftrichter im Laufe des nächsten Tages bleiben. Ob er es wusste, war Trevisan egal, als er, mit Kirner abgesprochen, alleine das kleine Vernehmungszimmer neben dem Zellentrakt betrat. Es unterschied sich nur wenig von einer Zelle, außer dass es einen Meter breiter war und in der Mitte ein Tisch und zwei Stühle standen. Ein Aufnahmegerät und zwei Mikrophone waren auf dem Tisch vorbereitet worden. Dahinter saß Liebler zusammengesunken auf einem Stuhl. Seine solariumgebräunte Haut hatte ein fahles Gelb angenommen. Seine Augen schimmerten feucht. Damit hatte Trevisan gerechnet. Ein Mann wie Liebler, ein Beamter, der eine Gelegenheit ergriffen und nie darüber nachgedacht hatte, wie und vor allem wo diese Sache enden konnte, ein solcher Mann konnte an den Vorboten der Konsequenzen zerbrechen. Und der Mann mit den feuchten Augen auf dem hölzernen Stuhl war nicht mehr weit davon entfernt.
Trevisan rückte seinen Stuhl zurecht, aktivierte das Aufnahmegerät und ließ sich nieder. »Sie haben mit Ihrem Anwalt gesprochen, also wissen Sie, dass Sie keine Angaben zu machen brauchen. Alles, was Sie nun sagen, wird aufgezeichnet und kann gegen Sie verwendet werden. Haben Sie mich verstanden?«
Liebler, der mittlerweile die Hände vor die Augen geschlagen hatte, nickte.
»Sie müssen antworten, Ihre Gesten können von dem Gerät nicht aufgezeichnet werden. Haben Sie die Belehrung verstanden?« Bewusst verlieh Trevisan seinen Worten kalte Schärfe.
Ein krächzendes, weinerlich klingendes »Ja« ertönte leise.
Trevisan unterbrach die Aufzeichnung und hörte die letzten Worte ab. Die Mikrofone waren offensichtlich von guter Qualität. Trevisan drückte den Aufnahmeknopf und nannte Lieblers Personalien und die Tatbestände, die ihm zum Vorwurf gemacht wurden. Der Verwaltungsbeamte ließ die Litanei über sich ergehen, nur seine Atemzüge waren zu vernehmen.
»Bevor ich Sie jetzt frage, ob Sie meine Fragen beantworten, möchte ich Ihnen der Fairness halber sagen, was wir gegen Sie in der Hand haben. Erst wenn Sie wissen, welche Beweise und Indizien gegen Sie sprechen, haben wir eine gemeinsame Basis. Ihr Beruf ist meinem nicht unähnlich, Sie müssen ebenfalls festgestellte Fakten bewerten und einschätzen und schließlich zu einer Entscheidung gelangen, die auf der Grundlage dieser Fakten jederzeit nachvollziehbar ist. Auch für andere, die an Ihrem Urteil zweifeln.«
Liebler legte die Hände in seinen Schoß und nickte fast unmerklich. Seine Augen wichen Trevisans Blick noch immer aus.
»Ein, sagen wir, Mitarbeiter Romanows wurde von uns festgenommen«, erklärte Trevisan. »Er berichtete von Treffen im Hilton- Hotel in Bremen. Außerdem hätten Sie schon bei
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