Die Wiege des Windes
Er hat sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR mit gefälschten Verträgen einen ganz schönen Anteil des Staatsvermögens unter den Nagel gerissen und einige der alten Erdölförderkombinate erschlichen. Nun ist er ins Visier der neuen Machthaber geraten. Denen sind begüterte und zunehmend einflussreich werdende Wirtschaftsbosse ein Dorn im Auge. Vor allem, wenn sie zu den Oppositionellen gehören. Zuviel Macht in neukapitalistischen Händen mit sozialistischen Köpfen ist gefährlich für die Regierenden. Petrov gehört zu diesen unerwünschten Neureichen, die im Herzen der alten Sowjetunion nachtrauern. Offenbar hat er nicht nur Steuern hinterzogen, sondern auch Stück um Stück Devisen aus dem Land gebracht und sich mit Auslandsbeteiligungen neue Märkte erschlossen. Es sieht so aus, als ob Romanow mit dem Geld von Petrov und einigen seiner Genossen arbeitet. Romanow pries den Windpark als innovative und gewinnbringende Investition mit hoher Rendite an. Die Komplikationen kennen wir. Jetzt steht Romanow unter Druck. Das Geld ist möglicherweise auf irgendwelchen Auslandskonten geparkt, auf die nur Romanow Zugriff hat. Petrov, der Direktor, wie man ihn in Moskau nennt, hat Romanow nur eine scheinbare Unabhängigkeit zugebilligt und ihm eine lange Leine verpasst. Es gibt Hinweise darauf, dass ein Vertrauter Petrovs nach Deutschland unterwegs ist, um den verlorenen Sohn wieder einzufangen, der gerade seine Flucht vorbereitet. Petrov will seine Investitionen zurück und ein Zeichen setzen, dass man ihn nicht für dumm verkaufen kann. Dass Petrov nun in irgendeinem Gefängnis in Moskau sitzt und quasi als Feind der Demokratie und des russischen Volkes gilt, hat sich mit unserem Fall nur zufällig überschnitten. Die Russen haben zugegriffen, als sich abzeichnete, dass Petrov sich nach England absetzen wollte. Dort haben viele reiche Russen mittlerweile Firmen erworben. Sogar Fußballvereine sollen darunter sein.«
»Das heißt also, dass Romanow nach Hause gebracht werden soll«, entgegnete Trevisan. »Aber was ist, wenn er nicht will?«
»Die Russen sind da nicht zimperlich«, erwiderte Kirner. »Der Mann, der auf Romanow angesetzt wurde, ist ein ehemaliger Elitesoldat der Roten Armee. Und er ist nicht gerade feinfühlig. Es könnte der Gleiche sein, der den vorgetäuschten Unfall verursacht hat, bei dem Esser schwer verletzt wurde. Es soll sich aber um keinen Russen handeln.«
»Kein Russe?«
»Zumindest kein waschechter, eben einer aus dem ehemaligen Sowjetreich. Ein Weißrusse, ein Ukrainer, ein Tschetschene oder Este, Balte oder Litauer. Da gibt es genug, die früher bei der Sowjetarmee dienten.«
Trevisan überlegte. Am gestrigen Tag hatten Johannes Hagemann und Alex Uhlenbruch von ihrem Erfolg im Norder Krankenhaus erzählt. Der Unbekannte hatte ihnen seinen Namen genannt und Gesprächsbereitschaft signalisiert, wenn er dafür ein kleines Entgegenkommen erfahren würde: Er wollte die Haft überleben und auf keinen Fall mit anderen osteuropäischen Strafgefangenen zusammengelegt werden. Diesem Ansinnen konnte entsprochen werden. Deshalb hatte er gestern seine Version der Geschichten über die Verbrechen erzählt. Natürlich nur den groben Rahmen. So hatte Trevisan von Romanows Treffen mit Liebler und Lührs im Bremer Hilton erfahren. Sofort wurde das Hotel überprüft, aber Romanow war nicht mehr dort. Es bestand zwar noch immer eine Zimmerreservierung, aber der Vogel war offenbar schon mit seinem Gepäck ausgeflogen. Trotzdem wartete auf Trevisans Geheiß ein Bremer Kollege im Foyer auf die Rückkehr des Russen.
Johannes und Alex waren noch damit beschäftigt, die Vernehmung von Thomaz Vargösz, dem Verletzten aus der Norder Klinik, abzuschließen. Er hatte im Falle des fingierten Unfalles von einem Mann gesprochen, der aus dem Osten kam, um den Anschlag auszuführen. Handelte es sich um den gleichen Mann, von dem Kirner im Telefonat erfahren hatte?
»Wir haben jetzt die kompletten Daten von Romanow und sogar ein Foto von ihm für eine Großfahndung«, rissen Kirners Worte Trevisan aus den Gedanken. »Köster wird sich darum kümmern. Ich rufe ihn an.«
Trevisan schaute auf seine Uhr. Die Zeit lief ihnen davon. Bei der Durchsuchung von Lieblers Wohnung war ein Aktenordner mit Auszügen eines Schweizer Bankhauses aufgefunden worden, die belegten, dass Liebler vor einem Jahr eine Bareinzahlung in Höhe von 500000 Mark vorgenommen hatte. Außerdem hatten sie in einer Seitentasche eine abgestempelte
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