Die Wiege des Windes
pflegte. Aber was sollte es schaden? Die Presse hatte sowieso schon über die Sache berichtet. »Der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Wattenmeer und stellvertretende Bezirksdirektor Esser war das Ziel.«
»Das habe ich mir fast gedacht«, seufzte Elvers. »Genau das würde ich dem Kerl zutrauen.«
Kirner wurde hellhörig. »Larsen hat für Sie gearbeitet. Worin bestand seine Tätigkeit?«
»Gearbeitet ist zu viel gesagt«, entgegnete Elvers. »Larsen half uns ab und zu. Er beteiligte sich an Pflegemaßnahmen, übernahm Zählungen, Versorgungs- und Überwachungsfahrten und erledigte Botengänge. Er war nie fest bei uns beschäftigt, aber wenn wir Verstärkung brauchten, konnten wir uns auf ihn verlassen. Er wurde uns von einem Kutterkapitän empfohlen, den wir manchmal mit seinem Schiff für Einsätze im Watt buchen.«
Kirner hatte einen Notizblock hervorgeholt und schrieb sich Stichpunkte auf. »Was war der Grund für die Entlassung?«
Elvers wiegte den Kopf. »Eine peinliche Angelegenheit …«
»Bitte erzählen Sie mir alles über Larsen, damit ich mir ein Bild machen kann. Wir suchen noch immer nach ihm und müssen davon ausgehen, dass er erneut einen Anschlag plant.«
»Na ja, es ist eine delikate Geschichte, die nichts in der Öffentlichkeit zu suchen hat«, gab Elvers seinen Widerstand auf. »Wir erhielten damals Besuch vom Bezirksdirektor. Es ging um Zuschüsse, wie fast immer. Sie können mir glauben, es ist nicht einfach, sich um die Belange der Umwelt und unserer Seehunde zu kümmern, wenn der Geldbeutel immer schmaler wird. Damals hatten wir das Problem, dass auf einigen Seehundbänken im Frühjahr die Tiere ausgeblieben waren. Wir befürchteten schon, eine neue Seuche wäre im Anmarsch. Doch Larsen und eine Freundin von ihm, angeblich eine Meeresbiologin, machten den zunehmenden Tourismus und die Verschmutzung des Wattenmeers dafür verantwortlich. Larsens Bekannte hatte ein Dossier darüber erstellt und forderte weitere Beschränkungen und die Erweiterungen der Ruhezonen. Doch die Schutzkommission sah sich durch den Druck der Krabbenfischer genötigt, einige Gebiete zurückzustufen und eine geringe ökonomische Nutzung der Flächen um die Nordbalje und den Roten Sand wieder zu erlauben. Das hat Larsen offenbar so zugesetzt, dass er beim Empfang dem Bezirksdirektor eine schallende Ohrfeige verpasste und ihm dazu noch einen toten Fisch ins Gesicht schleuderte. Wir haben ihn sofort rausgeworfen. Der Bezirksdirektor verzichtete auf weitere Schritte. Aber für uns war Larsen damit selbst als Aushilfe untragbar.«
Kirner vervollständigte seine Notizen, dann schaute er Elvers fragend an. »Was heißt das, die Seehunde blieben aus?«
»Na ja, die Sandbänke blieben leer«, antwortete Elvers.
»Kann es sein, dass sich die Tiere einfach auf anderen Bänken niederließen?«
Elvers schüttelte lächelnd den Kopf. »Dazu müssen Sie wissen, dass Seehunde Reviertiere sind. Ihr Revier ist zwar einige Quadratkilometer groß, aber sie kehren meist in das gleiche seewärts gerichtete Gebiet zurück und halten sich oft auch im Winter darin auf. Früher gab es viele Sandbänke und Ruhezonen, die von Kolonien bevölkert waren. Nach der Seehundstaupe Ende der Achtziger ging der Bestand auf knapp vierzig Prozent zurück. Es dauerte fast fünf Jahre, bis sich diese Tendenz umkehrte. Als sich 1996 der Bestand nochmals um knapp fünf Prozent verringerte, war es natürlich ein Schock für uns. Gott sei Dank hat sich unser Verdacht auf einen erneuten Ausbruch der Krankheit nicht bestätigt. Die Tiere sind offenbar im Nordmeer umgekommen, denn auf den Bänken fanden wir keine Kadaver so wie 1988, als wir täglich bis zu 150 verendete Tiere bargen. Die Umweltverschmutzung und die daraus resultierende Schwächung ihres Immunsystems sind die eine Seite, aber auch Futtermangel und das Anwachsen des Bestandes von Nahrungskonkurrenten durch erweitere Schutzbedingungen können zu einer ansteigenden Sterblichkeit einer Spezies führen. So ist das in einem Ökosystem, in das der Mensch schon viel zu stark eingegriffen hat: Der Schutz des einen Lebewesens kann Nachteile für das andere nach sich ziehen. Wir müssen ständig um Ausgleich bemüht sein. Das ist oft eine Gratwanderung.«
Kirner nickte. »Wissen Sie, wo sich Larsen aufhalten könnte?«
Elvers schüttelte den Kopf. »Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Und ich bin, ehrlich gesagt, überhaupt nicht böse darüber. Fragen Sie besser Corde. Er ist sein Onkel
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