Die Wiege des Windes
wie heißt du?«
»Oh, ich habe mir den unspektakulären Namen Ornithologe gegeben. Ich denke, dass passt ganz gut zu mir.«
Rike lächelte.
21
Trevisan stand vor dem Haus in der Ahrstraße und warf einen Blick auf die ehemals weiß gestrichene, brüchige Fassade. Eine trostlose Gegend, dachte er. Die schmutzigbraune Eingangstür wies neben allerlei Macken und Kratzern Schnitzarbeiten von übermütigen Jugendlichen auf. Mona, ich liebe dich. F…, stand in einem verkrusteten Herz.
Dietmar Petermann steckte den Schlüssel ins Schloss. Er passte. Es war zwar nicht notwendig, weil die Tür offen stand, aber damit war klar, dass es sich um Larsens Schlüsselbund handelte. Sie betraten den dunklen Flur. Die grauen Briefkästen neben der Tür waren allesamt eingedellt und verbogen. Einer trug Larsens Namenszug, mit einem schwarzen Filzstift auf das Blech geschrieben. Er ließ sich ohne Schlüssel öffnen. Werbehefte quollen heraus gesellten sich zu den anderen abgelegten und unbeachteten Zeitschriften und Wochenblättern auf dem Boden. Trevisan bückte sich. Ein paar Briefe waren darunter. Der erste stammte von der Stromgesellschaft, ein weiterer von der Telekom und der dritte, ein blauer Brief, trug den Absender der Staatsanwaltschaft Oldenburg.
»Das wird wohl kaum eine Einladung zum Bankett sein«, murmelte Trevisan.
Im Flur dominierte das Zitronenaroma eines Reinigungsmittels. Offenbar hatte erst vor kurzem jemand gewischt. Trevisan folgte seinem Kollegen. Im vierten Stock stand Larsens Namenszug in Augenhöhe auf dem Klarlack eines Türblattes mit einem runden Knauf anstelle einer Klinke. Dietmar schob den zugehörigen Schlüssel in das alte Bartschloss und drehte ihn um. Mit einem leisen Knacken sprang die Tür auf.
»Nur zugezogen, nicht mal verschlossen«, stellte Dietmar fest. Modrige und abgestandene Luft drang aus der Wohnung in das Treppenhaus. Drinnen war es schummrig. »Dann schauen wir mal.«
Der kleine Flur mündete in das Wohnschlafzimmer. Links des Eingangs öffnete Dietmar die Tür zu einem Bad mit grünen Fliesen aus den späten Sechzigern. Die Wanne war schmutzig, der Duschvorhang zurückgezogen. Über dem Waschbecken ein einfacher Spiegelschrank, daneben ein überquellender Wäschekorb. Dietmar schob die Schranktür auf. Zahncreme, Zahnbürste, billiges Aftershave und ein Rasierapparat, der mindestens zehn Jahre auf dem Buckel hatte. In der Ecke des Schränkchens lag eine Packung Papiertaschentücher einer Billigmarke. Die restlichen Fächer waren leer.
»Nicht viel zu holen«, murmelte Dietmar und wandte sich zu Trevisan um, der im Flur stand und in den Taschen der Jacken stöberte, die an der Garderobe hingen.
Dietmar betrat das große Zimmer und tippte den Lichtschalter an. Zwei Deckenstrahler erleuchteten den Raum.
»Also reich ist er nicht gewesen.« Dietmar musterte die Poster an der Wand. Robin Wood, Greenpeace und B.U.N.D. Ölfässer, die sich neben Palmen stapelten, ein Pandabär mit traurigen Augen und ein Tanker auf hoher See, aus dessen Rohren eine trübe Flüssigkeit in das blaue Wasser rann, darunter ein Stoppschild und der Slogan Schluss mit der Schweinerei!.
Trevisan hatte die Jacken wieder auf die Haken gehängt. Die Taschen waren leer. Er widmete sich dem in die Jahre gekommenen Schreibtisch. Ein veralteter Computer stand auf der Platte. An der Wand hing eine große Weltkarte, auf der mit einem roten Stift Linien und Daten eingezeichnet waren. Die Arktis, Südamerika, der Persische Golf, Russland und auch die Nordseeküste wiesen solche Linien auf. Trevisan trat näher. Die mit Hand notierten Vermerke waren allesamt Kalenderdaten.
Während sich Dietmar am Schrank neben der Eingangtür zu schaffen machte, öffnete Trevisan die Schreibtischschubladen. In der ersten lagen Druckerpapier, Briefkuverts und Stifte. In der zweiten fand er Larsens abgelaufenen Reisepass, und als er die dritte Schublade aufzog, fiel ihm ein Dossier mit Fadenheftung und einer Plastikfolie als Einband in die Hände. Die Auswirkungen der Überbeanspruchung der Schutzzonen auf die Natur und Umwelt, von Friederike van Deeren. Trevisan blätterte darin. Die Adresse der Verfasserin stand auf der ersten Seite.
»Nichts, außer alten Klamotten«, stöhnte Dietmar und warf ein paar Socken zurück in den Schrank. »Hast du schon etwas?«
Trevisan hob das Dossier in die Luft. »Das ist wohl so etwas wie eine Diplomarbeit. Von Larsens Freundin, die auch im Strafregister Erwähnung fand. Eine Abhandlung
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