Die Wiege des Windes
klingelte. Kirner griff genervt nach dem Hörer und maulte ein lang gezogenes »Ja« in die Muschel.
»Monika Sander hier, von der KTU«, erklang es aus dem Lautsprecher. »Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen …«
»Das wird auch Zeit«, fiel ihr Kirner schroff ins Wort. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass hier niemand mehr arbeitet. Die Verbrecher warten nicht auf uns. Also, zu wem gehört die DNA-Spur auf dem Kuvert?«
»Ich habe Sie nicht angerufen, um mir einen Rüffel abzuholen«, erwiderte Monika Sander spitz. »Ich arbeite in der Datenverarbeitung, die Analytiker sind in Urlaub oder krank. Der Abgleich mit der Speicherdatei wird noch dauern. Ich will Sie lediglich darüber informieren, dass es eine Überschneidung mit einer Leichenidentifikation der Kripo Wilhelmshaven gibt. Die eingereichten DNA-Codes sind identisch. Aber wenn Sie es genau wissen wollen, sollten Sie zu mir kommen.«
Kirner fuhr sich fassungslos durch die Haare. »Sagen Sie das noch mal.«
»Wenn ich den beiden vorliegenden Datensätzen glauben soll, dann ist Ihr Gesuchter von den Kollegen aus Wilhelmshaven vor vier Wochen tot aus dem Hafenbecken gefischt worden. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«
Ein tiefes Brummen ertönte aus dem Lautsprecher. Kirner starrte fassungslos auf den Hörer. Er warf ihn zurück auf die Gabel.
»Das gibt es doch gar nicht«, seufzte er, erhob sich und eilte zur Tür. Das musste er mit eigenen Augen sehen.
*
Die Lüfter der Computer erfüllten das Zimmer mit ihrem leisen Summen. Sonderbare Hieroglyphen wanderten über den Monitor. Rike saß angespannt vor dem Bildschirm und hielt eine Tasse in der Hand.
»Das alles ist mir viel zu kompliziert«, murmelte sie. »Web, FTP-Protokolle, Chatrooms, Newsgroups. Da blickt doch keiner mehr durch.«
Onno Behrend lächelte. »Das ist die neue Welt. Und jeder, der will, hat Zugang. Hast du dir im Studium keine Dateien aus dem Internet heruntergezogen?«
Rike schüttelte den Kopf. »Das Internet habe ich nur am Rande genutzt, da war mir vieles zu oberflächlich. Fachbücher sind mir lieber, da habe ich was Greifbares und kann jederzeit nachschlagen. Jetzt schreibe ich hin und wieder E-Mails und bin auf den Seiten von Greenpeace oder dem B.U.N.D. Mehr nicht.«
Onno zuckte mit den Schultern. »Ich hatte in meinem Berufsleben schon früh mit Computern zu tun. Die Dinger sind überaus nützlich in manchen Bereichen. Für unsere Jugend tut es mir ein bisschen leid. Viele hocken den ganzen Tag nur noch vor dem Bildschirm und wissen nicht, was es heißt, im Watt spazieren zu gehen oder eine Baumhütte zu bauen. Natürlich führt dieses Verhalten auch dazu, dass diese Menschen in einigen Jahren ganz schön einsam sein werden.«
»Das sind keine rosigen Aussichten«, antwortete Rike.
»Vielleicht ist es so wie mit allem«, erwiderte Onno. »Irgendwann lässt das Interesse nach und andere Dinge rücken wieder in den Mittelpunkt. Die paar, die auf der Strecke bleiben, haben eben Pech gehabt. Aber das verkraftet unsere Gesellschaft schon. Da habe ich keine Bedenken.
Viel größere Sorgen macht mir, dass es uns trotz der Vielfalt im Internet nicht gelingt, die beiden Dateien auf der CD zu identifizieren. Ich glaube fast, dass es keine offiziell vertriebene Programme sind.«
»Und wie sollen wir dann rauskriegen, was sich auf der CD befindet?«
»Wir müssen die Programmiercodes entschlüsseln.«
»Programmiercodes?«
»Die Programmiersprache. Die sonderbaren Zeichen, die du vor dir siehst. Jede Zeichenkette hat eine Funktion. Über die Steuerungsfunktionen läuft das Programm ab und eine Eingabemaske wird erstellt. Praktisch das Strickmuster. Ich habe mich mal kurz mit Programmierung befasst. Ich kann nur sagen, dass die hier keinem gängigen Muster entspricht.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Snoozer kann uns vielleicht helfen.« Onno setzte sich an den Computertisch und ließ seine Finger über die Tasten gleiten. »Ein ganz findiges Bürschchen. Ich habe ihn über den Chatroom kennengelernt. Wenn ich ihm glauben darf, dann ist er gerade mal sechzehn Jahre alt und wohnt irgendwo in Köln. Er bezeichnet sich selbst als Hacker und hat schon die Sicherungseinrichtungen von Banken und großen Firmen geknackt. Ich schicke ihm die Daten zu. Einen Versuch ist es auf alle Fälle wert.«
»Snoozer«, wiederholte Rike. »Das sind Namen …«
»Im Chatroom hat jeder seinen Code. Viking, Iceman, Diamond, der Phantasie ist keine Grenze gesetzt.«
»Und
Weitere Kostenlose Bücher