Die Wiege des Windes
paar Tage frei genommen, aber beim derzeitigen Personalstand im Kommissariat war daran überhaupt nicht zu denken.
Am nächsten Morgen war es ihm so schwer gefallen wie noch nie, das Haus zu verlassen. Es gab keine andere Möglichkeit, schließlich war er der neue Leiter des Kommissariats. Trevisan hatte Tante Klara angerufen, die zwischen den Jahren Urlaub hatte und sich um Paula kümmern würde. Er küsste Paula zum Abschied und versprach, gegen fünf wieder zu Hause zu sein. Er hoffte, er könne sein Versprechen halten, doch er glaubte nicht daran.
Nur widerwillig sprang der alte Opel an.
*
Als Trevisan eine halbe Stunde später durch die Gänge des 1. Kommissariats lief, wurde er von seinen Kollegen bereits erwartet.
»Moin«, grüßte Johannes. »Ich höre, ihr seid einen Schritt weiter.«
Trevisan nickte und hastete zu seinem Büro. »In einer Minute im Konferenzzimmer«, rief er dem Kollegen zu. Eine Minute später zog er dort einen Stuhl zu sich heran, warf seinen Aktenordner auf den Tisch und ließ sich erschöpft nieder.
»Ich denke, wir wissen jetzt, wer der Tote ist«, eröffnete er seinen Vortrag. »Dietmar und ich haben mit dem Kutterkapitän Hilko Corde gesprochen. Er nannte uns einen Namen und ich glaube, der Alte war nicht sonderlich überrascht über unseren Besuch. Als wir ihm von dem Toten erzählten, war er ganz schön durch den Wind.«
»Wenn er nicht sogar mit dem Tod etwas zu tun hat«, ergänzte Dietmar Petermann.
»Der Tote heißt wahrscheinlich Björn Larsen, ist vierunddreißig Jahre alt und in Norden aufgewachsen. Seine Eltern sind verstorben. Er hat laut Melderegisterauszug keine weiteren Angehörigen. Stellt euch vor, er wohnt sogar in der Nähe des Tatorts. In der Ahrstraße. Außerdem ist es ein ganz schönes Früchtchen. Insgesamt siebzehn Einträge im Strafregister. Landfriedensbruch, Brandanschläge auf einen Yachthafen und auf einen Schwimmbagger, Drohbriefe gegen Politiker, Sabotageaktionen gegen Fischkutter und vieles mehr. Vor knapp vier Monaten wurde er mit acht Gramm Hasch und zwei LSD-Trips angetroffen und angezeigt. Vielleicht handelt es sich wirklich um eine Abrechnung in Dealerkreisen.« Trevisan zog eine Plastiktüte aus dem Ordner hervor. »Wenn dieser Schlüssel zur Wohnung in der Ahrstraße passt, dann dürfte alles klar sein.«
»Also los, worauf warten wir noch!« Dietmar Petermann sprang tatendurstig auf.
»Warte, da ist noch etwas«, bremste Trevisan. »Zwei Namen tauchen ständig in seinen Fällen auf. Mal als Komplizen, mal als Gehilfen und mal als Mittäter: Uwe Töngen und Friederike van Deeren. Ich glaube, sie ist seine Freundin. Ich habe hier eine Adresse. Johannes, könntest du überprüfen, ob die noch stimmt?«
Johannes griff nach dem Papier, das ihm Trevisan reichte. »Gut, ich mache mich gleich daran.«
»Dann schaue ich mich mit Dietmar in der Wohnung um«, schloss Trevisan. »Das heißt, sofern die Schlüssel passen.«
*
»Wie soll man da noch vernünftig arbeiten können?«, beschwerte sich Kriminaloberrat Kirner. »Die eine Hälfte der Abteilung macht Urlaub, die andere ist krank, die Labors sind geschlossen und wenn man von euch was braucht, dann heißt es: Wir haben noch andere Fälle zu bearbeiten.«
Wütend warf er den Telefonhörer zurück auf die Gabel. Er hatte ein schreckliches Wochenende hinter sich. Zuerst hatte er am Sonntagmorgen einen Blechschaden mit seinem Mercedes gebaut, dann der Streit mit seiner Frau wegen der ewigen Nörgeleien der Schwiegermutter, und zu guter Letzt hatte sein Sohn ihm ganz lapidar mitgeteilt, dass er eine Studienpause einlegen werde und einen längeren Aufenthalt in Indien plane. Der eigentliche Grund für seine Anspannung war aber das Schicksal von Doktor Thomas Esser, der mit lebensgefährlichen Verletzungen in einer Oldenburger Klinik lag. Kirner fühlte sich schuldig. Zwar war der Fall derzeit noch bei der Verkehrspolizei in Oldenburg anhängig, doch war der dringende Verdacht, dass es sich um einen erneuten Anschlag auf den stellvertretenden Bezirksdirektor gehandelt hatte, nicht von der Hand zu weisen.
Kirner hatte sich die Aussagen der Polizeibeamten übermitteln lassen, die zu Essers Schutz abgestellt gewesen waren und den Unfall beobachtet hatten. Es war klar, dass die weiteren Ermittlungen in sein Ressort fielen, doch wie sollte das mit einer Rumpfmannschaft funktionieren? Die Fahndung nach Björn Larsen war angelaufen, doch konkrete Ergebnisse gab es bislang noch nicht.
Das Telefon
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