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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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obendrein? Nein, sie verstand ihre Mutter nicht. Die Welt aber umso mehr. In dieser Welt ging es darum, was man
hatte
, und was man dafür
bekam
. Nicht darum,
worauf
man wartete und
nicht
bekam. Münzen und Papierscheine spielten dabei eine entscheidende Rolle. Hatte man genügend davon, hatte man auch alles andere. Klar wie Getreidekaffee war das. Magda tauchte ihren langstieligen Löffel in das Schlagobers. Behutsam wie beim Mikadospielen achtete sie darauf, die Schokoladeraspeln auf der weißen Masse nicht zu erschüttern, sondern sie auf ihren Löffel zu häufen. »Wenn ich groß bin, hab ich so viel Geld, dass ich jeden Tag heiße Schokolade trinken kann. Vielleicht sogar zwei am Tag«, sagte Magda zuversichtlich.
    »Ich wünsch dir’s«, sagte Magdalena, in Gedanken noch bei dem unscharfen, weißhaarigen Backenbart in der Kutsche. Gemälde, die sie von ihm gesehen hatte, unterstützten Magdalenas Vorstellungskraft. Sie kam sich an jenem Samstag in ihrem Sonntagsgewand, weit weg von dreckigen Stiegenhäusern, frei vor. Frei zu träumen. Magdas Äußerung hielt sie für kindliche Begeisterung für alles Süße, erkannte darin nicht die tiefe Erkenntnis ihrer Tochter.
    Magdalena blickte lächelnd über ihre Tochter hinweg. Die löffelte konzentriert heiße Schokolade in sich hinein und behielt den Mantelkragen ihrer Mutter im Visier. An dessen Revers steckte eine Brosche. Quarzstifte glitzerten in Spektralfarben. Ihre Mutter musste Regenbogenstückchen zu einem Strauß gebündelt haben, dachte Magda. Wie schön die Brosche im Licht des Kaffeehauslusters schimmerte! Sie streckte ihre Hand nach der Brosche aus und berührte sie. Ihre Mutter öffnete die Nadel der Brosche und zog sie aus dem Revers. Magda nahm den Regenbogen mit beiden Händen in Empfang. Für einen solchen Schatz ließ sie sogar ihre Schokolade außer Acht.
    »Ist das ein Stück vom Himmel?«, fragte sie, obwohl sie wusste, dass das kaum der Fall sein konnte. Denn wenn diese Brosche tatsächlich aus Regenbogen gemacht worden wäre, würde sie sich viel weicher anfühlen. Denn der Himmel und alles, was sich darin befand, waren weich. Das wusste jeder. Wolken, Wind, Regen, Schnee, Nebel. Alles weich. Auch Regenbogen.
    »Nein, das sind Kristalle«, antwortete Magdalena und liebte ihr Kind für dessen Ahnungslosigkeit der Welt gegenüber.
    Magda drehte die Brosche in ihren Händen. Mit dünnen Fingern fuhr sie jede Kante des Kristalls ab. »Wenn ich groß bin, hab ich auch so eine schöne Brosche.« Magda überlegte, wie hoch der Münzhaufen wohl gewesen sein musste, der dieses Schmuckstück gekauft hatte. Wahrscheinlich nicht sehr hoch, sonst wäre die Brosche nicht in den Besitz ihrer Mutter gelangt.
    »Wennst groß bist, schenk ich sie dir, damitst dich immer an den heutigen Tag erinnerst.«
    Magda streichelte noch ein wenig über den Regenbogen, dann durfte ihn ihre Mutter wieder am Mantelkragen befestigen. Magdas Stiellöffel kratzte zufrieden am Boden des Kakaohäferls. Sobald die Brosche ihr gehörte, würde sie sie in einer Schatztruhe aufbewahren. Nur sie würde sie herausnehmen und bewundern dürfen. Das allerdings würde sie oft tun.

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    15.12.
    Ein Bananenkarton steht drüben. Neben der Wohnzimmertür an der Wand. Die Wohnung seit Wochen leer. Plötzlich ein Bananenkarton. Heißt das, jetzt zieht wer ein? Wer hat den Karton hingestellt? Wann? Muss in der Nacht passiert sein. Wer bringt schon nachts seine Umzugskisten in eine neue Wohnung? Seltsam nachtaktives Verhalten. Den ganzen Tag über taucht niemand auf. Die Spannung bleibt.
    16.12.
    Der angenehme Möglichkeitsraum, den die leere Wohnung erzeugt, setzt sich als körperliche Spannung in mir fort. Will die nächste Kartonlieferung nicht versäumen und lege mich auf die Lauer, das heißt, starre bis spät in die Nacht aus dem Fenster und betrachte die völlige Regungslosigkeit der dunklen Wohnung gegenüber. Traue mich aber nicht, meinen Platz hinter dem Fenster zu verlassen (habe extra einen Sessel hingestellt, um verdeckt, aber bequem beobachten zu können), denn gerade in einem unachtsamen Moment könnten die neuen Bewohner ihr Domizil betreten.
    Werde mit der Zeit doch

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