Die wilde Gärtnerin - Roman
ihrer Anstellung gut getroffen. Sie sprach ihren Dienstgeber mit »Herr Graf« an, machte dabei einen Knicks und schaute zu Boden. »Wennst immer das tust, was der Herr dir anschafft, kommst gut durch«, lautete der erste Ratschlag ihrer Zimmerkollegin. Aber Magdalena kam nicht lange gut durch. Denn der Herr Graf hatte nicht nur demütige Knickse und schüchterne Blicke bei seinen Dienstboten gern, sondern auch langes schwarzes Haar an hübschen Mädchen. Außerdem bevorzugte er außerehelichen, aber innerhäuslichen Geschlechtsverkehr. Seine Hände erreichten Magdalena im Korridor, schlangen sich fest um ihren Dienstmädchenkörper, drängten sie in sein Arbeitszimmer. Nachdem Magdalena einige Monate mit den innigen Umarmungen des Herrn Grafen gut durchgekommen war, gehörte sie plötzlich nicht mehr zum innerhäuslichen Inventar und musste gehen. Denn ihr gewölbter Bauch war eine Zumutung für die Gräfin, und auch der Graf spielte lieber mit rosigen Mädchenkörpern als mit dreckigen Windeln.
Magdalena Waschek zog wieder zu ihren Eltern. Sie wohnten zu acht auf dreißig Quadratmetern. Ohne feste Anstellung, aber mit wachsendem Bauchumfang tagelöhnte sie als Putzfrau. »Sie hot a Haus – zum Wosch’n«, witzelten die Nachbarn. Magdalenas Eltern machten ihr keinerlei Vorwürfe. »Aufpassen hättest sollen«, hörte sie von ihren Eltern nie. Menschen wie die Wascheks konnten sich aufpassen nicht leisten, und niemand passte auf sie auf. Diesbezüglich hatten sie einschlägige Erfahrungen gesammelt. Der Bauch ihrer Tochter verhieß, dass auch künftige Generationen diese sammeln würden. Daher keine Vorwürfe von Magdalenas Eltern. Und auch keine Zukunftsängste. Zukunft und Vorsicht war etwas für andere Leute, nicht für Familie Waschek. Magdalena beurteilte die Gesamtsituation freilich etwas differenzierter. Immerhin hatte schon ein Graf Gefallen an ihr gefunden. Deshalb war sie wegen des neuerdings um sie schwadronierenden Soldaten Matthias Wegmayer nicht aufgekratzt. Soldat Wegmayer, der in ihrer Straße wohnte und von allen »Hias« genannt wurde, vergötterte Magdalena. Mit jedem Zentimeter Bauchumfang mehr. Schon als sie als kleines Mädchen in dreckiger Kleiderschürze Pfitschigogerl gespielt hatte, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Blieb aber barfuß mit kurzen Hosen in fünf Metern Respektabstand stehen, während sie mit anderen Mädchen am Gehsteig saß und Kupfermünzen gegen die Mauer springen ließ. Matthias wollte nichts anderes, als ihr zahnlückiges Lachen sehen. Doch immer, wenn sie zu ihm hinüberblickte, versiegte ihr Lachen schlagartig, und damit Matthias’ Ausblick auf ihre Zahnlücken. Als er sie Jahre später mit vollständiger Zahnreihe und einem vorgewölbten Bauch in das Wohnhaus ihrer Eltern gehen sah, packte ihn der Mut. Matthias Wegmayer hatte von ihrem Debakel mit dem Herrn Grafen gehört. Aber er kannte keine bürgerlichen Standesdünkel, in ihm pochte unerklärliche Liebe für dieses exzahnlückige Wesen.
»Wie geht’s Ihnan?« Mit dieser wenig originellen, obendrein in Magdalenas Zustand unangebrachten Frage näherte er sich ihr.
Sie saß auf einer Holzbank im Hinterhof, starrte gedankenverloren vor sich hin.
»Geht«, sagte sie, der es besser gegangen wäre, hätte Hias sie nicht angeredet.
»Gut, schen«, sagte er, was das Gespräch nicht wesentlich ankurbelte. »I muss dann wieder in die Kasern’«, meinte er nach einer längeren Pause, in der er neben Magdalena stand, und diese überlegte, wie lange er das noch stumm aushalten würde.
Auf diesem Unterhaltungsniveau verharrten beide einige Wochen. Bis Magdalena ihn ab und zu anlächelte, was Matthias auch ohne Zahnlücken gefiel. Er fasste mehr Mut, erzählte ihr von seiner Arbeit beim Militär, malte ihr sein künftiges Leben aus, fragte endlich, ob er sie dicht neben sich auf dieses Bild zeichnen dürfte. Aber an Magdalena hatte schon ein Graf Gefallen gefunden, da war ihr ein Hias nicht ganz recht. Allerdings war das Interesse des Herrn Grafen relativ kurz und folgenschwer gewesen. Deshalb schaute sie sich Matthias nochmals genauer an. Er war nicht fesch, aber auch nicht übel, hatte ein regelmäßiges Einkommen, war kein Säufer, weder kriminell noch gewalttätig und offenkundig bis über beide Ohren in sie verliebt. Sie heirateten im Jahr 1905, kurz nachdem Magdalena ihre uneheliche Grafen-Tochter Frieda entbunden hatte. Zwei Jahre später kam Max auf die Welt, 1909 Magda, danach noch Maria und Ludwig.
Und im
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