Die wilde Gärtnerin - Roman
[...] Na ja, sie ist die meiste Zeit in ihrer Wohnung oder sie arbeitet im Garten. Hauptberuflich macht sie Scheiße, würde Helen sagen.
+++ 66,9 Millionen Überstunden in Österreich nicht abgegolten +++ weitere Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs gegen Ex-IWF-Chef erhoben +++ Millionäre könnten Griechenland retten +++ 2011 wurden 1,7 Billionen US-Dollar für Rüstung ausgegeben +++ 25 Millionen Menschen in der EU ohne Job +++
1915
Magda Wegmayer gingen im Alter von sechs Jahren, während sie die Hand ihrer Mutter Magdalena hielt, die Augen auf. Obwohl sie in diesem Moment gar nicht viel sehen konnte. Sie stand inmitten einer jubelnden Menge, in der sich außer Hintern, Anzugschößen, Mänteln und Damenhandtaschen nicht viel auf ihrer Augenhöhe tat. Manchmal sah sie zu ihrer Mutter hinauf, die sich auf die Zehenspitzen stellte, um über die Köpfe vor ihr zu schauen. Magdalena Wegmayer wollte den Augenblick nicht versäumen, da Kaiser Franz Joseph I. in seinem offenen Landauer vorbeifahren würde. Sie wollte anlässlich seines 85. Geburtstags bei ihm sein. Dieses historische Zusammentreffen würde bald eintreten, das konnte Magdalena spüren. Freudige Anspannung lag in der Luft, ausgesandt von fiebernden Menschen, die ihrem Kaiser auch in schweren Kriegszeiten – oder
jetzt erst recht
– bedingungslosen Rückhalt und Treue schenkten. Gleich werde er kommen, versicherte Magdalena Wegmayer ihrer Tochter. »Jetzt kann’s nicht mehr lang dauern, ich glaub, dort vorn seh ich ihn schon.«
Magda hatte diese plumpe Vertröstung am heutigen Tag bereits mehrmals vernommen und als schlichtweg falsche Prophezeiung eingestuft. Sie nahm die Aufregung ihrer Mutter wahr und ernst, konnte sie allerdings nach Ablauf einer zweistündigen Wartefrist nicht mehr nachvollziehen. Inmitten von Rückenansichten erkannte sie, dass das Erscheinen des ergrauten, backenbärtigen Kaisers, egal ob jetzt, in drei Stunden oder gar nicht, keine Auswirkung auf ihr zukünftiges Leben haben würde. Abgesehen davon, dass sie nachhause gehen könnte, sobald er vorbeigefahren war.
An der Hand ihrer Mutter gewann Magda eine weitere Erkenntnis. Es musste zu den Grundeigenschaften von Männern gehören,
abwesend
zu sein und andere auf sich warten zu lassen. Für diese Einsicht zog Magda im Alter von sechs Jahren eine Parallele zwischen dem alten Kaiser und dem Mann, an den sie sich als Schatten erinnern konnte. Ein Schatten, der, an den Türrahmen gelehnt, Pfeife geraucht hatte. Magdalena Wegmayer behauptete, dieser Schatten sei ihr Gatte und Magdas Vater gewesen. Aber für Magda war er eine offene Uniformjacke im Gegenlicht, und stinkender Pfeifenrauch. Eine Erinnerung, die zunehmend vager wurde, und von der ihr nur noch beißender Tabakgeruch in der Nase hing. Außer diesem Gestank verband Magda mit
Familie
noch ihre große Schwester Frieda, ihren Bruder Max, ihre Mutter, die zwei kleinen Geschwister und Oma und Opa. Diese sieben Personen waren schon immer um sie gewesen. Der rauchende Schatten in Uniform war vor einer Ewigkeit von über einem Jahr verschwunden und sollte nicht wiederkommen.
Was Magda anstiftete, die Augen zu öffnen und weitere Gedankenschritte zu setzen, war das widersprüchliche Verhalten ihrer Mutter.
Magdalena Wegmayer war vierzig Jahre alt, hatte schneeweißes Haar und sah so alt aus, dass Magda die Entstehungsgeschichte um ihre uneheliche Schwester Frieda nicht glauben konnte. Denn ihre Mutter sollte einmal dichtes schwarzes Haar am eigenen Kopf getragen haben, dafür kinderlos und jung gewesen sein. Alles Dinge, die Magdas scharfer Verstand anzweifelte. Schließlich bedingte diese Vorstellung, dass es eine Zeit
vor
ihr und ihren Geschwistern gegeben hatte, eine Zeit, lange bevor der Pfeife rauchende Mann in Uniform verschwand, ja noch bevor er überhaupt in das Leben ihrer Mutter getreten war. In diesen unerdenklichen Zeiten sollte Magdas Mutter noch Waschek geheißen haben und ein schönes Mädchen gewesen sein. Schön, aber vor allem arm. So arm wie ihre Eltern, die ihrerseits auch von armen Eltern abstammten.
Magdalena Waschek wurde mit kindlichen zwölf Jahren in den Dienst zu Herrschaften geschickt. Damit fiel sie ihrer Familie nicht mehr zur Last. In ihrer Anstellung als Hausmädchen verdiente sie ein Bett in einer schäbigen Kammer, die sie mit drei anderen Mädchen teilte, Arbeitskleidung und einmal im Jahr ein neues Paar Schuhe. Zweimal täglich eine warme Mahlzeit obendrein. Magdalena Waschek hatte es mit
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