Die wilde Gärtnerin - Roman
Manhattan als Zimmermädchen an. Dem Hotel, in dem der Mann während seiner Aufenthalte in New York abstieg. Eines Tages checkte er tatsächlich ein und rief prompt den Room-Service. Berta brachte ihm ein spätes Abendessen in sein Appartement. Er öffnete ihr die Tür im Bademantel. Darunter war er nackt. Für den Rest des Abends musste er sich vor Gericht verantworten.
»Moment, du warst nicht diejenige, die ihn angezeigt hat. Das Gesicht dieser Frau kenne ich von Fotos, das warst eindeutig nicht du«, werfe ich ein.
»Stimmt. Vor Gericht ist eine andere aufgetreten, eines seiner früheren Opfer. Von ihr hab ich alle Informationen bekommen.«
Bedeutet das, Berta arbeitet mit anderen zusammen? Dann gibt es noch mehr als sie? Dann steht womöglich eine ganze Gruppe hinter ihr? Das hat sie doch in einem unserer früheren Gespräche rigoros abgelehnt. »Aber wie soll das funktioniert haben?«, frage ich skeptisch.
»Gut hat das funktioniert. Du glaubst doch nicht, einer wie der erinnert sich an die Gesichter seiner Sexualobjekte? Für den ist die Welt ein Selbstbedienungsladen, in dem ein Mädel wie das andere ausschaut. Der braucht keine Rechenschaft über seine Taten abliefern.«
»Warum tust du das?« Meine damit, weshalb lässt Berta ihren Körper beschädigen, um jemanden vor Gericht zu bringen?
»
Ich
?«, fährt sie kreischend auf, »du fragst mich, warum
ich
das mache? Den Typen solltest du das fragen; weshalb
er
glaubt, das Recht zu haben, Frauen anzufallen, die in seiner sozialen Wertigkeit unter ihm stehen. Nicht
mich
, weshalb ich das anprangere!« Für Berta ist er nur ein Mann von vielen, die auf einflussreichen politischen und wirtschaftlichen Positionen anzutreffen sind und sich in ihrer Denk- und Lebensart aufs Haar gleichen. »Die müssen aus ihrer Selbstzufriedenheit und Sicherheit gestoßen werden. Die sollen bloß nicht glauben, dass es so gemütlich weitergeht wie bisher. Geld abzocken und den dicken Macker spielen, dem die Welt gehört. Diese Zeit ist abgelaufen, das sollen die endlich kapieren.«
»Warum?«, frage ich erneut, weil ich nicht fassen kann, dass sie sich freiwillig vergewaltigen hat lassen. Ihr Gesicht kommt mir diabolisch vor. Die klaren Augen, die Sommersprossen, die kurzen Haare, ihr drahtiger Körper. Alles, was mich für sie eingenommen hat, erscheint mir jetzt gefährlich. Als bestünde Berta nur aus einer dünnen zivilisierten Schicht oberhalb einer brodelnden Masse des Irrsinns.
»Dieser Mann steht für ein System, das in sich korrumpiert ist. Gelingt es mir, seine Person in der Öffentlichkeit zu diffamieren, wird unter Umständen auch das System in Zweifel gezogen. Denn welche Gültigkeit kann ein System haben, das solche Personen zu Entscheidungsträgern macht?«
»Aber Berta, das ist Lynchjustiz. Du handelst außerhalb des Rechtssystems und damit automatisch ungerecht. Außerdem kannst du nicht reale Menschen mit einem abstrakten System gleichsetzen. Dieses System ist doch nur in
deiner
Vorstellung konkret.«
»Nimm ihn nur in Schutz, ganz recht, das ist das typische Verhalten der glücklichen Sklavin, der selbstgewählt Entmündigten. Nimm einen Begünstigten hegemonialer Macht ruhig in Schutz, einen, der seinerseits außerhalb des Rechtsstaates steht, für den es weder Kontrolle noch Konsequenzen gibt. Außer er wird für seine Kaste untragbar. Und das habe ich versucht zu erreichen.« Sie wirkt ein wenig eingeschnappt, weil ich sie nicht verstehen will, weil ich ihr Vorgehen nicht bedingungslos gutheiße. Berta nippt von ihrem Whiskey, schaukelt hektisch mit dem Sessel. »Aber du hast natürlich recht, er muss als Mensch kein Unhold sein. Vielleicht hat es sogar eine Zeit gegeben, in der er Zurückhaltung für ein durchaus probates Mittel menschlicher Kommunikation angesehen hat. Umso größer ist die Fehlleistung eines Systems, das einen lieben Kerl wie ihn mit derartig viel Macht ausstattet, dass er zum unkontrollierbaren Berserker werden kann.«
Will mich in ihren Worten und Details nicht verheddern. Lasse unhinterfragt, ob sie mit den Schlagzeilen zufrieden war, die diese Aktion zweifellos nach sich gezogen hat und was sich an der konkreten Situation sowohl dieses Mannes, des Währungsfonds, als auch »des Systems« ihrer Meinung nach geändert hat. Möchte stattdessen wissen, was sie noch gemacht hat. Muss das Ausmaß ihres Wirkens überschauen. Bin bereit, ihr ohne Widerrede zuzuhören. Mir ist bewusst, dass Berta eingefahrene Ansichten hat, die sich
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