Die wilde Gärtnerin - Roman
kannte sie. Sie war Geschäftsfrau. Sie gehörte zum Grätzl. In der neuen Wohnsiedlung nahe der Vorortelinie kannte sie niemanden, und niemand kannte sie. Sie war nichts weiter als eine alte Frau, die nicht gegrüßt wurde. Am Revers von Magdas Kostüm erkannte Hilde die schillernde Quarz-Brosche, die ihr als Kind gefallen hatte. »Die hat mir vor vielen Jahren der Kaiser geschenkt« hatte Magda ihrer ungläubigen Enkelin erzählt. »Während einer herrlichen Parade is er in seiner prächtigen Kutsche vorgfahren. Er hat anhalten lassen, sich durch das Fenster zu mir herausgebeugt und mir die Brosche gschenkt.« Hilde hatte das Schmuckstück daraufhin umso besser gefallen, wie jeder Gegenstand, den eine Geschichte umgab. »Das werd ich mein Lebtag nicht vergessen«, hatte Oma Cerny beteuert, »so was gibt’s heut nicht mehr. Wennst dir die heutigen Politiker anschaust, bitte, wer möcht denen zujubeln?« Hilde erinnerte sich, dass dieser Bemerkung auch Oma Amalia beiwohnte. Amalia, bei der »das Parteibuch der Sozis unterm Kopfpolster liegt«, wie Anton oft behauptete, hatte Magda scharf gekontert: »In ana Demokratie braucht kana bejubelt werden. Da sama olle da Souverän. Wir wöhn die Partei, die für unser Wohlergehen sorgt, oiso sama söba verantwortlich für den Zuastand in Österreich.« Magda, Geschäftsfrau und ÖVP-Anhängerin, wollte »welches Wohlergehen?« entgegnen. Meinte Amalia vielleicht die hässlichen Gemeindebauten, die am Stadtrand aus dem Boden schossen? Oder ihre eigene kleine Wohnung ohne Bad und WC? Aber Magda hatte nur »na, wennst meinst« gesagt und ihr Haar im Nacken zurechtgerückt.
Magda setzte sich zu Amalia, hielt ihr Hütchen in der Hand und erholte sich recht schnell von ihrer Bestürzung. »Na, du machst Sachen, jagst uns einen riesen Schreck ein.«
»Tut ma lad«, hob Amalia ihre Arme entschuldigend über der Decke an und ließ sie schlaff fallen.
»Was sagen denn die Ärzte?« Magda Cerny mochte Ärzte. Erstens, weil sie gut verdienten, zweitens, weil man sie an ihren weißen Mänteln leicht erkannte, und drittens, weil sie ihr gegen jedes Wehwehchen viele bunte Pillen verschrieben, die sie in ihre Küchenlade warf und allmählich vergaß, welche wofür zu schlucken war.
»Nix sogen s’, bei mir verschlogt’s ihnen die Sproch.« Genau wegen dieser Fragen hätte Amalia auf diesen Nachmittag gerne verzichtet.
»Geh, da muss doch noch was zu machen sein. Mit den heutigen Mitteln. Chemotherapie? Da gibt’s doch so vieles.« Magda verabscheute die Vorstellung, nichts machen zu können. Sie war ihr zu vertraut, um sie zu akzeptieren.
»Na, bei mir gibt’s nix mehr.« Amalia schloss die Augen, weniger aus Erschöpfung, sondern aus dem heimlichen Wunsch, nicht mehr gefragt zu werden. Magda wiederum war sich ihres Hangs zur Taktlosigkeit bewusst und unterdrückte die Frage nach Amalias prognostizierter Lebenserwartung. Sie biss sich stattdessen auf die Unterlippe. Aber Amalia konnte Magdas Neugier spüren. »A poar Wochen no, genau kennan’s die Ärzte ned sogen. Nimmer long jedenfois, des kann schnö gehen«, sagte sie.
Magda drückte verlegen ihre Haare im Nacken und meinte: »Na geh«.
Dann stand Anton im Zimmer. Er begrüßte seine Frau, strich seiner Tochter über den Scheitel. »Servus, Mama«, beugte er sich zu Magda, küsste sie auf die Wangen, sie redete ihn mit »Servus, Bua« an. Er hockte sich auf den Boden vor Amalias Bett, um mit seiner Schwiegermutter auf Kopfhöhe zu sein. »Grüß dich«, sagte er und lächelte bitter. Tod und Krankheit fielen nicht in seine Definition eines schönen Lebens. Er hätte auf Amalias Anblick gerne verzichtet. Das wusste auch sie. Amalia hatte ihn oft reden gehört: »Ich will den so in Erinnerung behalten, wie er war«, wenn er sich weigerte, einen schwerkranken Freund oder Kollegen zu besuchen. Für Amalia war das ein Zeichen für Antons verlogene Lebenseinstellung. Als gehörte das Ende des Lebens nicht zu dessen Anfang und Mittelstück dazu.
»Der Besuch kostet earm vü Überwindung«, dachte sie. Obwohl es ihr nicht gefiel, konnte Amalia verstehen, weshalb ihre Tochter sich einen Mann wie Anton ausgesucht hatte. Er war fesch, erschien mit kräftigem Körperbau, energischem Kinn und schwarzen Haaren wie jemand, auf den man sich verlassen konnte. Er war ganz anders als Josef. Der zwar verlässlich, aber durch seine körperliche Versehrtheit keine Stütze war. Erna brauchte eine starke Schulter zum Anlehnen, wie das in
Weitere Kostenlose Bücher