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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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durch meine affektiven Einwände nicht trüben werden. Wichtig ist vorerst, so viel wie möglich von ihr zu erfahren. Muss endlich wissen, wer mir gegenübersitzt. Wer ist Berta, über die ich bisher nur völlig falsche Mutmaßungen angestellt habe?
    »Wo hast du noch ins System eingegriffen?«, frage ich, aber Berta wackelt mit ihrem leeren Glas vor meinem Gesicht herum.
    »Hier fehlt Entscheidendes«, meint sie, kippt mit ihrem Sessel nach vor, geht in die Küche und kommt mit der angebrochenen Flasche Single Malt zurück. »Du willst wirklich alles wissen?«, fragt sie herausfordernd.
    Nicke und halte ihr mein Glas hin. Sie schenkt ein, spitzt die Lippen und brummt vor sich hin, als würde ihr die Entscheidung, aus einem übergroßen Sortiment auszuwählen, Schwierigkeiten bereiten. »Na dann halte ich mich mal an die jüngste Vergangenheit. Weil du damals interessiert warst. Hackerangriff? Du erinnerst dich? Pensions- und Vorsorgekassen?
Ich
war’s.«
    »Aber du hast gesagt, du kennst dich nicht aus.«
    »Jaja, hab ich gesagt, kenn mich aber aus. Gut sogar. Hab einen Shitstorm initiiert, eine DoS-Attacke, mein Rootkit hat das Abwehrsystem des Pensionskassen-Rechners ausgetrickst, bin das volle Programm gefahren.«
    Mir kommen Bedenken. Kann das, was sie behauptet, der Wahrheit entsprechen? Und was, wenn mir diese Wahrheit nicht zugemutet werden kann? Mir ist vielleicht lieber, Berta weiterhin vom Fenster aus zu betrachten, mir Idealvorstellungen von ihr zurechtzulegen und mich um meine Komposttoilette zu kümmern. Merke nämlich schon, wie meine Eingeweide dem Ansturm von Offenbarungen unzureichend standhalten. Mein Dünndarm zieht sich zusammen. Er kann Wichtiges nicht mehr von Unwichtigem unterscheiden. Befürchte, er wird alles, was auf ihn einströmt, so rasch wie möglich aus meinem Körper leiten. Durchschleusen → primäres und effektivstes Mittel, mit Vergiftungen umzugehen, denn ich fühle mich wie vergiftet von Bertas Worten. »Dann hast du mich belogen. Warum?«
    »Ich hab dich nicht belogen, ich hab dir die Wahrheit vorenthalten. Zu deinem eigenen Schutz. Dir ist hoffentlich klar, dass du jetzt, in diesem Augenblick zu meiner Komplizin wirst. Das ist dir doch klar, oder, Helen?«
    »Ich sehe eher, dass du dich mir anvertraust oder besser: auslieferst. Ich könnte dich anzeigen, für all die Sachen, die du mir bisher gesagt hast.«
    »Kannst du. Wirst du aber nicht.«
    »Was macht dich da so sicher?«
    »Weil du, auch wenn du noch so sehr dagegen anredest, gut findest, was ich mache.«
    Schweigen dampft aus unseren Whiskeygläsern. Meine inneren Stimmen überschlagen sich währenddessen. »Sie hat recht, es gefällt dir«, legt sich an mit: »Die spinnt total, du lässt dich auf keinen Fall da hineinziehen«. Berta geht zum Fenster. Folge ihrem Blick, der auf die gegenüberliegende Hausfassade gerichtet ist.
    »Ich korrigiere mich«, sagt sie, »vielleicht gefällt dir nicht, wie ich die Dinge mache, aber dass ich sie mache, imponiert dir.«
    Plötzlich sind sich die Stimmen einig und auch mein Darm entkrampft sich. Berta hat recht. Werde sie nicht anzeigen. Niemals. Nicht wegen gehackter Webseiten, nicht weil sie als Wildschwein verkleidet alte Männer erschreckt, nicht weil sie einen geilen Bock in weltwirtschaftlich brisanter Position an den Pranger stellt. Aber trotzdem kann ich nicht verstehen, was sie sich davon erhofft. Was sollte sich durch ihr kriminelles Vorgehen verbessern? »Warum tust du das?«
    Berta dreht sich um, lehnt sich an das Fensterbrett, verschränkt die Arme. »Ich erhoffe mir von jeder Aktion Schlagzeilen, Empörung, Aufklärung. Die Akteure dieses Systems müssen verunglimpft, somit die dem System inhärenten Fehler offenbart werden. Das Volk verliert den Glauben daran, und irgendwann, irgendwann einmal gerät das System ins Wanken.« Sie sagt das, als gäbe sie ein Zeitungsinterview.
    »Berta, welches
System
? Ständig redest du von einem
System
, aber was meinst du überhaupt damit?«
    »Ich meine die Ideologie, die wir bei jedem Schritt aufnehmen. Die geistige Haltung, der wir jeden Tag begegnen und die wir durch unsere Handlungen reproduzieren. Ich meine das System, in dem postkapitalistische Regeln zur Gewinnmaximierung in menschliche Denkprozesse, zwischenmenschliche Beziehungen und unsere Körper eingedrungen sind. Ich starte den Versuch, damit aufzuhören. Auf meine Art.« Sie lehnt noch immer lässig am Fenster.
    »Du glaubst also, als Einzelne erfolgreich gegen

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