Die wilde Gärtnerin - Roman
Gemeinde saniert Ihnen den Boden und die Fenster. Dann sind Sie auch den Gestank los.«
Die eingesperrten Kinder – wahrscheinlich hatten sich auch deren Eltern daran beteiligt – hatten den Boden offensichtlich als Abort benutzt. Hilde kannte das von den Kot-Aktionen der Kommune. Aber dass auch Familien im Gemeindebau Zeichen gegen bürgerlichen Reinlichkeitswahn setzten und die Zurichtung des menschlichen Körpers durch die Hygienedoktrin ablehnten, war ihr neu. Sie wertete den Rest der Exkremente daher eher als Ausdruck von Verwahrlosung. Der Hausmeister wusste ihren Gesichtsausdruck fehlzuinterpretieren. »Ich hab eh versucht, es so gut wie möglich wegzuputzen, aber der Dreck is viel zu tief einzogen, das kriegt man mit Putzen nicht mehr hin.«
Vom Wohnzimmer gelangten sie in die Küche. Ein verdreckter Gasherd mit verkohlten Essensresten auf der Kochstelle war das Glanzstück der Einrichtung.
»Der is funktionstüchtig«, behauptete der Hausmeister. Er demonstrierte den Wahrheitsgehalt seiner Aussage, indem er Flammen aus dem Gasfeld züngeln ließ. »Den müssen S’ selbst putzen. Solang S’ auf dem Herd kochen können, muss die Gemeinde ihn nicht ersetzen.« Die Tür zum Bad war nicht nur verdreckt, sondern litt ebenfalls an den Folgeschäden einer Axtbehandlung, und auch die feudale Badewanne hatte als Toilettenersatz dienen müssen.
»Kann die Wohnung nicht komplett ausgeräumt werden?«, fragte Hilde. Sie hatte ihre Tochter mit einem bunten Tragetuch um den Bauch gebunden und wippte im Stehen. »Ich meine, alles raus: Badewanne, Herd, Boden? Dann müsste ich nicht mühsam entrümpeln, sondern könnte gleich meine Möbel reinstellen. Denn ich werde sicher weder den Herd noch diese Türen oder die Badezimmerausstattung behalten.«
Der Hausmeister zuckte desinteressiert mit den Schultern. »Das müssen S’ beim Magistrat beantragen, dafür bin ich nicht zuständig.«
Hilde überschlug die ungefähren Kosten und den Arbeitsaufwand der Renovierung. Sie würde Freundinnen um Hilfe bitten müssen. Das meiste würde sie aber selbst machen, schließlich hatte sie in Ludwigshof einiges gelernt. Finanziell würde es sich schon irgendwie ausgehen. Die vier Monate alte Helena schlief ungestört in ihrem Tragetuch, obwohl ihr in der neuen Umgebung seltsame Gerüche in die Nase stiegen. Gerüche von Angst, Kinderweinen, Drohgebärden und deren Entladung in körperliche Gewalt. Trotzdem verspürte Helena keine Notwendigkeit aufzuwachen. Die Gefahren waren längst vorüber, sie war in unmittelbarer Nähe ihrer Mutter.
Hilde ging noch einmal alle Zimmer ab. Die Küche war geräumig, das Wohnzimmer würde ihr Arbeits- und Schlafzimmer werden, das Kinderzimmer Helenas Bereich. Die Monatsmiete war gering, da konnte sie sich auf die anfänglichen Mehrkosten locker einlassen. Hilde gelang es, den momentanen desaströsen Zustand mit dem Bild einer sanierten Wohnung zu überblenden. Sie war begeistert. Hier wollte sie wohnen! In dieser Gemeindebausiedlung. Ihren Eltern zum Trotz, den Kommunengenossen zum Hohn und für sich selbst als Befreiungsschlag. Hier würde sie sowohl von kleinbürgerlichem Größenwahn als auch von pseudo-revolutionärem Künstlertum verschont bleiben. Hier würde sie endlich tun und lassen können, was sie wollte. Ohne von einem männlichen Oberhaupt bevormundet zu werden.
»Ich nehme sie«, strahlte sie den Hausmeister an und hätte die Wohnung am liebsten in Geschenkpapier verpackt mitnehmen wollen.
»Na gut, wenn S’ meinen, ich leite das weiter und Sie melden sich bitte beim Magistrat.« Der Hausmeister wunderte sich, dass jemand dieses verdreckte Loch freiwillig beziehen wollte und war heilfroh über seine kostenlose Dienstwohnung auf der Nebenstiege.
Hilde verließ ihren künftigen Wohnsitz – Stiege 18 eines Plattenbetonbaus im 21. Wiener Gemeindebezirk. Sie stand vor der Haustür und überblickte einen weitläufigen begrünten Hof, der zu drei Seiten von achtstöckigen Gemeindebauten begrenzt wurde. Hilde legte ihre Hand auf Helenas Rücken, die immer noch schlief, und ging auf eine Holzbank zu. Sie setzte sich und schaute zur offenen Seite des Hofs. In zirka dreihundert Meter Entfernung war eine zweispurige Straße zu sehen, dahinter eine ebenerdige Einfamilienhaussiedlung. Hilde wendete sich auf ihrer Holzbank nach hinten, wo zwischen zwei Stiegenhäusern ein breiter Durchgang uneingeschränkte Aussicht auf Wiesen und Felder bot. Die führten hinter der Siedlung der
Weitere Kostenlose Bücher