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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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schwarzen
Stadtschuhe und seine dünnen schwarzen Stadtsocken und wirkten so fremd in
dieser Umgebung, daß sogar die Seemöwen einen großen Bogen um sie flogen. Die
etwas verwegeneren Seeschwalben kamen im Tiefflug näher, stoben dann jedoch
kreischend vor diesem seltsamen Schwemmgut davon.
    Draußen, im
Dunst der Bucht, holte ein Hummerfänger gerade seine Kästen ein, und Dante
fragte sich, wie es wohl wäre, wieder körperliche Arbeit zu verrichten, und ob
er seekrank werden würde. Er erhob sich und tapste vorsichtig durch den
Schlamm, spürte ab und zu, wie eine Muschel seine Füße pikste, und beobachtete
mißtrauisch das wimmelnde Leben um sich herum. Ein alter Hummerkasten lag
angeschwemmt hinten an einem der Molenpfähle; vorsichtig ging Dante hin, um zu
sehen, was für Tiere wohl darin lagen. Doch der Kasten lag fest im Schlamm
eingebettet, und sein einziger Inhalt war der Köder, der völlig kahlgefressene
Kopf eines Fisches. Dann kroch ein Schlammwurm über seinen Fuß; er schrie auf
und rannte zum Ufer. Als er sich umschaute, ob jemand [394]  Zeuge seiner Feigheit geworden war, sah er
einen dunkelhaarigen, hübschen kleinen Jungen, der ihn beobachtete. Der Junge
hatte einen Schlafanzug an und kaute an einer Banane. »Das war nur ein
Schlammwurm«, erklärte Colm.
    »Beißen die?«
fragte Dante.
    »Sie zwicken«,
erwiderte Colm, hüpfte von der Mole herunter und kletterte barfuß über die
kantigen Felsen, als mache es seinen Füßen überhaupt nichts aus. »Ich fang dir
einen«, bot er Dante an. Er drückte ihm seine Banane in die Hand und lief über
die Muscheln, die, da war Dante sich sicher, seine Füße aufgeschlitzt hatten.
Er kam sich belämmert vor und widerstand der Versuchung, seinen Körper auf
Schnittwunden zu untersuchen, und sah zu, wie der Junge durchs Watt lief, mit
seinen Fingern nach schrecklichen, lebendigen Dingen prokelte, die Dante nicht
einmal mit einem Stock angeschubst hätte.
    »Sind manchmal
ganz schön schwer zu kriegen«, bemerkte Colm, hockte sich hin und hob einen
riesigen Schlammklumpen hoch. Mit seiner kleinen, gelenkigen Hand schlüpfte er
in das Loch und zog einen langen, grünlichroten Wurm hervor, der sich sofort um
seine Hand wickelte. Colm hielt ihn direkt hinter dem Kopf fest, und Dante
konnte die schwarzen Tentakel von dem Ding sehen, die blind in der Luft
herumtasteten.
    Du kleiner
Schlaumeier, dachte Dante Calicchio. Wenn du mir mit dem Ding zu nahe kommst,
schmeiß ich deine Banane in den Schlamm. Doch Dante stand seinen Mann, als Colm
direkt auf ihn zukam.
    »Siehst du die
Kneifer?« fragte er.
    »Ja«,
antwortete Dante. Er wollte Colm die Banane zurückgeben, fürchtete jedoch, der
Junge würde das als einen Tauschvorschlag auffassen. Außerdem war Colm vom
Schlamm völlig verdreckt. »Jetzt hast du dich schmutzig gemacht und kannst dein
Frühstück nicht mehr essen«, tadelte ihn Dante.
    »Doch«,
erwiderte Colm, »ich kann mich ja waschen.« Er [395]  führte Dante zu einem Meerwasserbecken weiter
hinten in den Klippen, und gemeinsam wuschen sie ihm den Schlamm ab.
    »Willst du
meine Tiere sehen?« fragte Colm ihn. Dante war nicht sicher; er fragte sich,
was Colm wohl mit dem Wurm angestellt hatte. »Was ist ein Chauffeur?« fragte
Colm. »So was ähnliches wie ein Taxifahrer?«
    »Mhm«,
antwortete Dante. Wachsam wie ein Hase, der überall Feinde lauern sieht, folgte
er Colm ins Bootshaus.
    Da lag eine
Schildkröte, auf deren Rücken Steine zu wachsen schienen, und eine Möwe, an die
Dante nicht zu nah herangehen sollte, sagte Colm: sie hatte einen kaputten
Flügel und schnappte gern. Da war ein teuflisch wildes, kleines Tier, das
aussah wie eine verlängerte Ratte, ein Frettchen, sagte Colm. Da stand eine
Zinkbadewanne voll mit Heringen, von denen die Hälfte tot auf der
Wasseroberfläche trieb; Colm fischte sie mit einem Netz heraus, als seien
derartige Todesfälle etwas ganz Natürliches.
    »Katzenfutter?«
fragte Dante mit einem Blick auf die Heringe im Netz.
    »Wir haben
keine Katze«, erwiderte Colm. »Sie töten mehr, als sie fressen können.«
    Als sie wieder
aus dem Bootshaus herauskamen, schien die Sonne so warm, daß sie Dantes Gesicht
rötete, und eine liebliche, salzige Brise wehte von der Bucht herüber.
    »Weißt du, was,
Kleiner?« sinnierte Dante. »Du hast’s echt gut, daß du hier leben kannst.«
    »Weiß ich«,
sagte Colm.
    Dann warf Dante
einen Blick zum Haus und sah Bogus Trumper am Fenster des Billardzimmers, wie
er die beiden

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