Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
hier, hier, um Himmels willen… ich glaub, davon brauchst du jetzt so
viel, wie du nur kriegen kannst…, jetzt hau ab, wenn du noch einen Funken
Verstand hast. Hau ab! «
Dann wieder
alles im Zeitraffertempo, und weit weg von mir sah ich Dante Calicchio, wie er
mit zwei Männern spielte. Sie müssen beide federleicht gewesen sein, denn Dante
schleuderte den einen durch die Windschutzscheibe eines Autos, das da stand,
und den anderen schüttelte er herum wie eine Stoffpuppe, bis ich nichts mehr
sehen konnte, weil all die anderen Leute, die hier herumliefen, bei Dantes
Spiel mitmachen wollten.
Dann hatten sie
mich wieder beim Wickel. Sie fuhren mich in einem Wagen herum, das Fenster war
offen, und ich mußte den Kopf hinaushängen; sie glaubten wohl, ich bräuchte
dringend [401] frische Luft.
Doch ich war noch nicht so weggetreten, daß ich mich nicht an das
zusammengeknubbelte Ding in meinem Hemd erinnerte, und als sie mich in einen
Fahrstuhl schleppten, zog ich es heraus und warf einen verstohlenen Blick
darauf. Es war ein Geldschein – ich konnte die Zahl nicht lesen –, und einer
der Männer im Fahrstuhl nahm ihn mir weg.
Ich glaube, ich
war in einem Fahrstuhl; ich glaube, wir waren in einem Hotel. Doch das einzige,
was ich in dem Moment dachte, war: Schon komisch, daß einer sich so was in die
Unterhose steckt!
[402] 33
Willkommen im Orden vom goldenen
Schwanz
Während Tulpens Besuch im Krankenhaus döste ich vor mich hin
und starrte sie nur ab und zu an, öffnete dann die Augen so plötzlich, als sei
ich erschreckt worden, stierte über die Schulter ins Leere, spielte den
Verwirrten bis zur Perfektion, obwohl ich dringend etwas Schreckliches aus mir
herauspinkeln mußte.
Ralph kam
später am Nachmittag vorbei, erklärte mich für tot und fragte Tulpen, wie mein
Pimmel aussehe. Doch sie schien sich ernsthafte Sorgen zu machen und keifte ihn
an. »Den hab ich noch nicht gesehen«, sagte sie. »Er ist noch total
weggetreten. Er weiß nicht, wo er ist.«
Ralph umkreiste
das Bett; er hatte die Post mitgebracht, und unter dem Vorwand, nach einer
Ablage dafür zu suchen, schielte er durch den Vorhang auf meinen Zimmergenossen – auf den alten Herrn mit dem Wirrwarr von sprudelnden Ein- und
Auslaßschläuchen. »Fragen wir doch einfach eine Krankenschwester«, schlug Ralph
vor.
»Was denn?« gab
Tulpen zurück.
»Ob wir ihn
sehen können«, meinte Ralph. »Vielleicht können wir ja einfach die Bettdecke
hochheben?«
Ich rollte mit
den Augen und murmelte etwas auf deutsch, um sie zu beeindrucken.
»Er ist gerade
in seiner Naziphase«, verkündete Ralph, und ich lag da wie nach einer
Leukotomie, wartete darauf, daß sie intime Dinge zueinander sagten oder sich
berührten. Doch sie taten es nicht; im Gegenteil; sie schienen sich überhaupt
nicht gut zu [403] verstehen,
und ich überlegte, ob sie mein Spiel durchschaut hatten und mitspielten.
Als sie
schließlich gingen, hörte ich, wie Tulpen die Stationsschwester fragte, wann
Vigneron zu sprechen sei und ob ich noch am gleichen Abend entlassen werden
sollte. Aber die Antwort der Schwester konnte ich nicht verstehen; mein
Zimmergenosse entschloß sich just in diesem Augenblick, lautstark etwas
abzulassen oder aufzunehmen, und als er mit seinen schrecklichen blubbernden
Zuckungen fertig war, waren sie bereits verschwunden.
Ich mußte
aufstehen und pinkeln, doch als ich mich bewegte, verfing sich einer der
drahtigen Fäden in der Bettdecke, und ich stieß einen so fürchterlichen Schrei
aus, daß ein ganzer Schwarm Krankenschwestern ins Zimmer gestürzt kam und der
alte Herr in seinen Träumen und Schläuchen gurgelte.
Zwei Schwestern
halfen mir auf die Toilette, und ich hielt meinen OP -Kittel weit vom Körper weg, damit er nicht mit meinem
verletzten Körperteil in Berührung kam.
Ich beging den
törichten Fehler, mich vorm Pinkeln anzuschauen. Ich sah kein Loch; er war ganz
von Blut verkrustet, und ein schwarzes Gewirr von Fäden erinnerte mich an das
zusammengebundene Ende einer Blutwurst. Ich hielt die Krankenschwestern etwas
hin und fragte nach der Post.
Ein Brief von
meinem Doktorvater, Dr. Wolfram Holster, war angekommen. Er hatte einen Artikel
aus The North Germanic Languages
Bulletin beigelegt,
von dem alten Meister in Vergleichender Literaturwissenschaft aus Princeton,
Dr. Hagen von Troneg, der den Mangel an Studien über die Urahnen der
nordgermanischen Sprachgruppe beklagte. Aus von Tronegs Sicht war »jedwedes
tiefergehende
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