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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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durchs Fernglas beobachtete. Dante wußte, der Junge sollte nicht
erfahren, daß er beobachtet wurde, und so schob er seinen massigen Körper
zwischen Kind und Haus.
    »Bist du
manchmal ein Soldat?« fragte Colm, und Dante schüttelte den Kopf. Er ließ ihn
seine tolle Chauffeursmütze [396]  anprobieren;
grinsend marschierte das Kind auf der Mole auf und ab. Seltsam, dachte Dante,
Kinder sind ganz verrückt nach Uniformen, und die meisten Erwachsenen hassen
sie.
    Trumper sah, wie Colm einen militärischen Gruß übte. Wie braun
er war! Und seine Beine waren auch viel länger geworden.
    »Er wird so
groß wie du, Big«, murmelte er. Biggie war fix und fertig; sie hatte sich auf
die Couch im Billardzimmer gelegt und war eingeschlafen. Bogus stand allein mit
seinem Fernglas am Fenster, doch Couth hörte ihn. Als er sah, wie Couth ihn
anschaute, nahm Bogus das Fernglas vom Gesicht.
    »Er sieht gut
aus, nicht wahr?«
    »Mhm«, sagte
Trumper. Er sah auf Biggie. »Ich will sie nicht aufwecken«, meinte er. »Gib du
ihr einen Kuß von mir.« Dennoch schlich er auf Zehenspitzen zu ihr hin; er
schien auf etwas zu warten.
    Couth
versuchte, ganz unbefangen aus dem Fenster aufs Meer zu schauen, doch Trumper
schien sich noch immer nicht ganz wohl zu fühlen, und so spazierte Couth aus
dem Billardzimmer. Dann beugte sich Bogus zu Biggie hinab und küßte sie schnell
und sachte auf die Stirn; doch ehe er sich wieder aufrichten konnte, griff sie
mit der Hand matt nach seinem Haar, strich sanft darüber und stieß einen
Seufzer aus.
    »Couth?« sagte
sie. »Ist er weg?«
    Und wie er dann weg war! Er ließ Dante an einer Esso-Tankstelle
in Bath anhalten und neue Kühlelemente für die Eisbox im Fond der Limousine
besorgen. In Brunswick kaufte er eine Flasche Whisky, und in einem Geschäft
gegenüber ein Glas. Somit war er schon hinüber, als sie nach Massachusetts
kamen. Er saß auf seinem Plüschsitz im Fond, hinter der geschlossenen
Trennscheibe und trank, bis die getönten Fensterscheiben noch dunkelgrüner
wurden, obwohl die Sonne jetzt immer heller schien. In dem [397]  geräuschlosen,
vollklimatisierten Mercedes saß er da, ganz in sich zusammengesunken wie ein
toter König in seinem mit weichen Kissen gepolsterten Sarg auf dem Weg zurück
nach New York.
    Wieso
eigentlich New York? dachte er. Dann erinnerte er sich daran, daß Dante ja da
hinmußte. Er nahm seinen Briefumschlag mit dem Geld, und vor seinen Augen
tanzten fünfzehn-, achtzehnhundert Dollar. Bei jedem Durchzählen kam eine
andere Summe heraus; er zählte es viermal nach, schob es dann wieder in seine
Jackentasche und dachte nicht mehr daran.
    Doch Dante
bemerkte es, und zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, daß dieser Verrückte
vielleicht doch nicht so reich war. Wenn man sich die Mühe machte, sein Geld zu
zählen, dann hatte man nicht genug.
    Als sie nach
New Haven kamen, war Trumper so besoffen, daß Dante nicht einmal zu fragen
brauchte, ob er einen Moment lang anhalten könne. Er ging in eine Telefonzelle
und bekam einen wüsten Anpfiff von seinem Chef und tränenreiches Geschrei von
seiner Frau zu hören.
    Als er wieder
zum Auto zurückkam, war Trumper schon zu weggetreten, um zu verstehen, was
Dante ihm sagen wollte. Dante wollte Trumper sagen, daß »sie« in New York auf
ihn warteten. »Die Bullen?« hatte Dante den Limousinendienst gefragt. »Was
wollen die denn von ihm?«
    »Höhere Tiere
als einfache Bullen«, gab man Dante zur Antwort.
    »Ach, wirklich?
Was hat er denn verbrochen?«
    »Die glauben,
daß er verrückt ist.«
    »Ach du
Scheiße«, antwortete Dante, »ist das heutzutage schon ein Verbrechen?«
    Dante klopfte
so lange gegen die Glasabschirmung, bis Bogus Trumper ihn schließlich anstarrte
und langsam zu erkennen schien. Dann beschloß Dante, es aufzugeben; er winkte
Trumper nur durch das Glas zu. Trumper lächelte und winkte zurück.
    [398]  Doch
Dante hatte diesen Verrückten mittlerweile ins Herz geschlossen; irgendwie war
er ihm sympathisch geworden. Schon ehe sie Maine verlassen hatten, hatte er
seine Meinung über diesen Sonderling geändert. Er hatte Trumper gefragt, ob er
kurz bei einem Souvenirladen an der Straße anhalten könne; er wollte seiner
Frau und seinen Kindern eine Kleinigkeit mitbringen.
    Trumper hatte
ihn anhalten lassen, und als Dante ins Geschäft ging und zwischen
Plastikhummern und auf Treibholz gemalten Wasserfarbenbildern herumwühlte,
schaute Trumper sich die Fotos an, die Couth ihm vor seiner Abfahrt

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