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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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da wußte Ismael, wer es war.«
    »Moby Dick!«
schrie Colm.
    »Psssst«,
flüsterte Trumper. Sie wurden ganz still und konnten hören, wie draußen der
Ozean gegen die Felsen schäumte, gegen die Mole schlug und die vertäuten Boote
an der Anlegestelle schaukeln ließ. »Hörst du?« flüsterte Trumper. »Hörst du
das Meer?«
    »Ja«, flüsterte
Colm zurück.
    »Und die
Walfänger hören es genauso, schwapp,
schwapp gegen
das Schiff. In der Nacht, wenn sie schlafen.«
    »Genau«,
flüsterte Colm.
    »Und die Wale
kommen und schnuppern nachts um die Schiffe herum.«
    »Ehrlich?«
fragte Colm ungläubig.
    »Klar doch«,
sagte Trumper. »Und manchmal kratzen sie sich am Schiff oder stupsen es an.«
    [436]  »Wissen
die Männer, wer das ist?«
    »Die schlauen
schon«, sagte Trumper.
    »Aber nicht so
Kapitän Ahab«, erwiderte Colm.
    »Glaub ich auch
nicht«, meinte Trumper. Sie lagen still da und lauschten dem Ozean, warteten
darauf, daß ein Wal das Haus anstupste. Dann knirschte es auf der Mole, und
Bogus flüsterte: »Da ist einer!«
    »Weiß ich«,
flüsterte Colm mit rauher Stimme.
    »Wale tun einem
nichts«, erklärte Trumper. »Wenn man sie in Ruhe läßt.«
    »Weiß ich«,
erwiderte Colm. »Man darf einen Wal nie ärgern, oder?«
    »Genau«,
bestätigte Trumper, und sie lauschten dem Meer, bis Colm eingeschlafen war. Und
dann war das einzige wache Lebewesen im Zimmer der durch aufopfernde Hege und
Pflege am Leben erhaltene dünne, zinnoberrote Fisch aus New York.
    Trumper gab
seinem schlafenden Sohn einen Gutenachtkuß. »Ich hätte dir einen Wal mitbringen
sollen.« Nicht, daß Colm den kleinen Fisch nicht mochte; Trumper wünschte sich
nur etwas Dauerhafteres für seinen Sohn. Colm mochte den Fisch sehr gern; er
hatte sogar mit Biggies Hilfe Tulpen einen kleinen Brief geschrieben, in dem er
sich dafür bedankte: damit konnte sich Trumper im nachhinein für den Diebstahl
entschuldigen.
    »Liebe Tulpen«,
diktierte Biggie. Dann buchstabierte sie Colm jedes einzelne Wort: » L-I-E-B …« sagte Biggie. Mit zusammengekniffenen Augen schnitzte Colm
die Buchstaben mit dem Bleistift, den er fest in der Faust hielt, aufs Papier.
    Bogus spielte
mit Couth Billard.
    »Vielen Dank
für den kleinen orangen Fisch«, diktierte Biggie.
    »Ganz vielen
Dank?« schlug Colm vor.
    » V-I-E …«, sagte Biggie. Colm schnitzte weiter.
    Bogus verpatzte
jeden Stoß. Couth war ganz locker und hatte seine übliche Glückssträhne.
    [437]  »Ich
hoffe, du kommst mich einmal in Maine besuchen«, diktierte Biggie.
    »Genau«, sagte
Colm.
    Doch Biggie wußte es besser. Als Colm schlafen gegangen war,
fragte sie Bogus: »Du hast sie verlassen, oder?«
    »Ich glaub,
irgendwann werden wir wieder zusammenkommen«, sinnierte Bogus.
    »Das glaubst du
immer«, erwiderte Biggie.
    »Warum hast du
sie verlassen?« fragte Couth.
    »Weiß ich
nicht.«
    »Das tust du
nie«, bemerkte Biggie.
    Doch sie war
nett zu ihm, und sie unterhielten sich ein bißchen über Colm. Couth hatte
Verständnis dafür, daß Bogus seine Doktorarbeit zu Ende schreiben wollte, doch
Biggie war da anderer Meinung. »Da draußen hast du sie regelrecht gehaßt«,
meinte sie, »und du hast dich nicht mal richtig dafür interessiert.«
    Bogus fiel keine
Antwort ein. Seine Vorstellung davon, wie er allein nach Iowa zurückkehren
würde, glich in keiner Weise seiner Erinnerung an Iowa mit Biggie und Colm.
Biggie bedrängte ihn in diesem Punkt nicht weiter; wahrscheinlich sah sie es
auch so.
    »Also ich
finde, du solltest irgendwas tun«, meinte Couth.
    In diesem Punkt
stimmten ihm alle mehr oder weniger zu.
    Bogus lachte.
»Es ist wichtig, eine Vorstellung von sich selbst zu haben«, sagte er. Von
Couths Apfelbrandy hatte er ein wenig Schlagseite. »Ich glaube, man sollte
zuerst mit einer oberflächlichen Vorstellung anfangen, so was wie Doktorand
oder Übersetzer, irgendwas, was schön einfach klingt. Dann kann man hoffen, die
Vorstellung ein wenig auszuweiten.«
    »Ich weiß
nicht, womit ich angefangen hab«, entgegnete Couth. »Ich hab mir nur gesagt:
Ich lebe so, wie ich leben will, und damit hab ich angefangen. Dann bin ich
Fotograf geworden, [438]  aber
ich sehe mich immer noch eher als jemand, der einfach lebt …«
    »Na ja, du bist
aber ganz anders als Bogus«, bemerkte Biggie. Aus Respekt vor ihrer Autorität
in dieser Sache trat für eine Weile ehrfürchtiges Schweigen ein.
    Bogus sagte:
»Na ja, ich hab es einfach nicht geschafft, mich mir als Filmemacher
vorzustellen,

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