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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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»Meine Güte, jetzt mach wenigstens
die Tür zu!«
    Als sich alle
zurechtgefunden hatten und in ihren Zimmern verschwunden waren, tauchte Ralph
Packer nackt auf dem Flur auf. Durch die offene Tür konnten sie Matje hören,
die ihn fragte, was er denn vorhabe. »Ich werde nicht zum
Fenster rauspinkeln!« brüllte er. »In dieser gottverdammten Burg gibt’s jede
Menge Klos, und ich werde eins finden!«
    Freundlich
geleitete Biggie den nackten Ralph zum richtigen Ort.
    »Tut mir leid,
Biggie«, sagte Matje und rannte Ralph mit einer Unterhose hinterher.
    [481]  »Macht
nichts«, sagte Biggie und berührte freundschaftlich Matjes Bauch.
    Trumper ließ
sich gerade von Tulpen genüßlich lieben; eigentlich war er zu betrunken, um das
Ganze richtig zu schätzen, doch es hatte eine seltsame Nachwirkung – hinterher
war er hellwach und vollkommen nüchtern. Tulpen lag neben ihm und schlief fest,
aber als er ihr die Füße küßte, um sich zu bedanken, lächelte sie.
    Doch er konnte
nicht einschlafen. Er küßte Tulpen am ganzen Körper, aber sie ließ sich nicht
erregen.
    Trumper war
also hellwach, stand auf und zog sich warm an; er wünschte, es wäre schon
Morgen. Auf Zehenspitzen schlich er in Colms Zimmer, gab dem Jungen einen Kuß
und deckte ihn ordentlich zu. Er ging auch zu den beiden Babys, lauschte dann,
wie die anderen Erwachsenen schliefen, doch das reichte ihm noch nicht. Er
schlich in Biggies und Couths Schlafzimmer und schaute zu, wie die beiden
ineinander verknotet dalagen. Couth wachte auf. »Nächste Tür, den Flur runter«,
sagte er in der Annahme, Bogus suche die Toilette.
    Trumper
wanderte weiter, ging in das Zimmer von Ralph und Matje und sah sich auch die
beiden an. Ralph lag ausgestreckt auf dem Bauch, seine Hände und Füße baumelten
aus dem Bett. Quer über seinem breiten, haarigen Rücken lag die zierliche
Matje, wie eine Blume auf einem Komposthaufen.
    Unten öffnete
Bogus die Terrassentür im Billardzimmer und ließ frische Luft herein. Draußen
war es kalt, und der Nebel kroch langsam aus der Bucht seewärts. Trumper wußte,
daß dort, mitten in der Bucht, eine karge, felsige Insel lag und daß es diese
Insel war, die er durch die wallenden Nebelschwaden immer wieder auftauchen und
verschwinden sah. Doch wenn er lange genug darauf starrte, schien sich die
Insel tatsächlich zu bewegen, hochzusteigen und wieder abzusinken, und wenn er ganz fest darauf starrte, konnte er einen breiten, flachen Schwanz sehen, der sich in die
Lüfte erhob und so hart auf das Meer schlug, daß die Hunde im [482]  Schlaf winselten. »Hallo,
Moby Dick«, flüsterte Trumper. Gob knurrte, und Loom richtete sich auf, sank
aber sogleich wieder zu Boden.
    In der Küche
nahm sich Bogus ein Stück Papier, setzte sich hin und fing an zu schreiben. Den
ersten Satz hatte er schon einmal geschrieben: »Ihr Gynäkologe hat ihn mir
empfohlen.« Weitere Sätze folgten, formten einen ganzen Absatz. »Wie könnte es
anders sein: Der beste Urologe in New York ist ein Franzose. Dr. Jean-Claude
Vigneron: NUR NACH VEREINBARUNG . Also vereinbarte ich einen Termin.«
    Was habe ich da
angefangen? fragte er sich. Er wußte es nicht. Er steckte den Zettel mit diesem
Rohentwurf eines Anfangs in die Tasche, um ihn für später aufzuheben, wenn er
mehr zu sagen hatte.
    Er wünschte, er
könnte verstehen, warum er so ruhelos war. Dann kam es ihm, daß er jetzt zum
ersten Mal in seinem Leben tatsächlich in Frieden mit sich lebte. Er erkannte,
wie sehr er auf diesen Frieden gewartet hatte, doch das Gefühl war anders als
erwartet. Er hatte immer gedacht, Frieden sei ein Zustand, den er irgendwann
einmal erreichen würde, doch der Frieden, den er jetzt verspürte, war wie eine
Kraft, der er sich ergeben hatte. Mein Gott, warum sollte Frieden mich
deprimieren? dachte er. Doch er war nicht deprimiert, das stimmte nicht genau.
Nichts war genau.
    Er rieb den
Billardstock mit Kreide ein, dachte über den ersten Stoß nach, als ihm klar
wurde, daß er nicht der einzige war, der in diesem schlafenden Haus wach und
auf den Beinen war. »Bist du’s, Big?« fragte er leise, ohne sich umzudrehen.
(Später würde er eine weitere schlaflose Nacht mit der Frage zubringen, wieso
er wußte, daß sie es war.)
    Biggie war
vorsichtig; sie berührte das Thema, um das es ihr ging, nur am Rande – die
Phase, die Colm gerade durchmachte, daß er jetzt in einem Alter war, in dem
sich Jungs auf ganz natürliche Weise eher dem Vater als der Mutter zuwenden.
»Ich

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