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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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dabei mußte sie sich etwas bücken, und ihre Brüste begannen zu schaukeln;
die eine schwang nach außen, während die andere direkt auf mich zuschlingerte.
Als ob ich nicht schon genug eingeschüchtert gewesen wäre.
    Sie fragte:
»Bogus? Was ist los mit dir? Haben sie das Spiel abgesagt?« Mit ihrer großen
Hand hob sie mein Gesicht hoch.
    Dann sah ich,
wie ihr die Kinnlade herabfiel, und zuerst dachte ich, mein Schaufenstergesicht
habe ihr einen Schreck eingejagt. Im ersten Moment bemerkte ich nicht, daß es
ein ärgerlicher Blick war, den sie mir zuwarf, und bis dahin – bis zu dem
Augenblick, wo ich mir mit der Zunge über die trockenen Lippen fuhr – hatte ich
auch Lydia Kindles matt-orangen Lippenstift noch nicht bemerkt, der meine
Mundwinkel und ein paar Schnurrbarthaare zierte: Apfelsinenliebe.
    »Du
Dreckschwein!« sagte Biggie, schnappte sich den klatschnassen Putzlappen aus
dem kleinen Eimer, knallte ihn mir [101]  ins Gesicht und fuhr mir mit dem ätzenden Zeug um den Mund
herum. Vielleicht war es das Ammoniak, das mir die Tränen in die Augen trieb;
der beißende Geruch hing mir direkt unter der Nase.
    Ich stammelte:
»Ich hab den Job verloren, Big.« Sie starrte mich an, und ich sagte es noch
einmal. »Ich hab den Job verloren. Ich hab diesen
gottverdammten Job…« Und ich spürte, wie ich auf meine wundgescheuerten Knie
sank, auf die ich an diesem Tag, wie mir schien, schon zu oft gezwungen worden
war.
    Biggie wollte
sich an mir vorbeidrängen, doch ich umfaßte ihre Hüften und drückte sie an
mich, sagte dabei immer wieder: »Ich hab den Job verloren, den Job…« Aber sie
hob ihr Knie ruckartig an und erwischte mein Kinn; ich biß mir auf die Zunge
und spürte, wie mir das warme Blut den Rachen hinablief. Wieder griff ich nach
ihr, versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen, und plötzlich war sie ganz nah bei
mir, hatte sich neben mich hingekniet, und sagte mit ihrer leisen, ruhigen
Stimme, auf ihre andere Art: »Bogus? Was hat dir der Job
denn bedeutet? Ich meine, er war doch sowieso nicht so toll, oder? Und du hast
eh nur so wenig verdient, daß es kaum ins Gewicht fällt, wenn wir das Geld
nicht mehr haben… Stimmt’s oder hab ich recht, Bogus?«
    Aber Ammoniak
ist ein verteufelt starkes Zeug. Ich brachte keinen Laut mehr heraus; ich
konnte nur noch nach Biggies T-Shirt greifen und damit meinen blutigen Mund
abtupfen. Biggie drückte mich an sich; sie ist so wuchtig, und es war
schwierig, mich richtig in sie hineinzuschmiegen, doch dann kuschelte ich mich
in meiner gewohnten Stellung zwischen ihre Brüste und ihre Oberschenkel. Biggie
sprach mit leiser, beruhigender Stimme auf mich ein: »Es ist alles wieder gut,
Bogus. Komm, ist doch wieder gut…«
    Vielleicht
hätte ich ihr da widersprochen, wenn ich nicht gesehen hätte, wie Colm, der
genug vom Lasterzusammenknallen hatte, nun auf uns zukam – voller Neugier, welch
hilfloses Geschöpf seine Mutter da bemutterte. Ich preßte das Gesicht gegen [102]  Biggies Bauch und spürte,
wie Colm mich vorsichtig in den Rücken pikste und an den Ohren zupfte, um genau
die Stelle herauszufinden, an der ich verletzt war. Und ich kann beim besten
Willen nicht sagen, wo das nun war.
    »Ich hab ein
Geschenk für dich…« Biggies klangvolle Stimme verliert sich im Flur, kommt
wieder näher, und allmählich verstehe ich. Sie drückt mir etwas in die Hand. Ein Geschenk für den vermeintlich Untreuen, der gerade seinen
Job verloren hat! Colm
grabscht nach dem Aufkleber, während ich aus dem Ungarischen übersetze. Aus
Milo Kubiks Peoples Market, eine wertvolle 250Gramm-Dose meines
Lieblingsgerichts, Wildeberragout in Médoc-Sauce. Milo Kubik, der Feinschmecker
im Exil. Bei seiner Flucht aus Budapest brachte er nicht nur Erinnerungen mit,
sondern auch eingedoste Kostproben diverser Ragouts. Gott sei Dank hat er es
geschafft! Wäre ich aus Budapest geflohen – eine Flasche Ebermarinade im
Jackett, ein bißchen Paprika in der Hose – mich hätten
sie bestimmt gekriegt.

[103]  12
    Willst du ein Kind haben?
    Tulpen ging früh nach Hause, doch Bogus und Ralph Packer
blieben noch lange im Studio in der Christopher Street und werkelten an den
Tonaufnahmen für Das Leben auf dem Land herum.
    Die
Hippiekommune, die sich Free Farmers nannte, hatte etwa vier Morgen
unbestelltes Land in Besitz genommen, das zu einem Kunstcollege gehörte. Sie
legten einen Garten an und luden die normalen Farmer aus der Gegend ein, mit
ihnen die Ernte zu teilen und auch selbst Gärten

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