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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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mich im Schlaf umzudrehen und dabei ein Stück
abzubrechen. Und doch, sie wendet mir ihr verwundbares Gesicht zu.
    Mein
Schnurrbart hält einer Untersuchung aus der Nähe nicht stand; also küsse ich
sie rasch. Sie kann die Lippen nicht stillhalten, also lasse ich von ihr ab und
halte ihre Hand. Beim Weitergehen drücke ich sie ganz nah an mich. Wir gehen
den Holzsteg zum Fluß hinunter. Immer wieder bekomme ich ihre dünne, kantige
Hüfte zu spüren; sie versucht, ihren eckigen, sprunghaften Gang meinem
bärenhaften Schwanken anzupassen. Über den Fluß und in die Stadt; nach einiger
Zeit stummen Übens können wir schließlich ganz gut nebeneinander hergehen.
    Ich sehe in den
Schaufenstern unsere Spiegelbilder. Wir stehen vor einer Schaufensterpuppe mit
geblümten Unterhosen, einem dazu passenden BH und einer Handtasche am Arm. Dann verändert sich das Bild. Im
nächsten Schaufenster stehen wir vor dem mürrischen Gesicht eines
biertrinkenden Mannes, vor dem blassen Neonlämpchen eines blinkenden
Flipperautomaten und dem gebeugten Rücken eines Flipperspielers, der so
aussieht, als wolle er die Maschine voller Wut besteigen. Das nächste Bild: Wir
stehen vor gar nichts – vor einem leeren, dunklen Schaufenster, in dem nur ganz
unten in einer Ecke ein Schild hängt. Darauf steht: ZU VERMIETEN .
Ich habe es bereits zweimal gelesen, ehe mir auffällt, daß ich stehengeblieben
bin und sich unsere Gesichter auf die Glasscheibe richten. Ihr Gesicht und
meines, ganz nahe beisammen. Sie wirkt erstaunt über ihren Anblick, aber
glücklich.
    [99]  Mein
Anblick jedoch! Das Haar ist zerzaust, die Augen blicken irre, der Mund grinst
verzerrt; mein Gesicht ist eine einzige Grimasse, die Haut so angespannt und
weißlich gefleckt wie bei einer fest geballten Faust. Hinter uns sind ein paar
Leute stehengeblieben, gerade so lange, daß sie einen Blick auf das
Schaufenster werfen können; sie wollen wissen, was unsere Aufmerksamkeit erregt
hat, und eilen davon, sobald sie unsere ungleichen Gesichter sehen – ja sie
schrecken geradezu zurück, als jagten ihnen meine schiefen Gesichtszüge Angst ein.
    »Wir können uns
jederzeit treffen«, sagt Lydia Kindle den Bürgersteig hinab. »Sagen Sie mir
nur, wann.«
    »Ich werde Sie
anrufen.«
    »Sie können mir
auch eine Nachricht hinterlassen«, schlägt sie vor, »… im Sprachlabor.«
    »Klar, eine
Nachricht«, erwidere ich und denke: Meine Güte! Nachrichten im Sprachlabor!
    »Oder sonst
irgendwie was.«
    »Klar, sonst
irgendwie was«, sage ich, und sie zappelt einen Moment lang herum und wartet
darauf, daß ich sie wieder bei der Hand nehme.
    Doch das tue
ich nicht. Ich bringe ein Lächeln zustande – ein seziertes Gesicht im
Schaufenster, mit einem Lächeln, so überzeugend wie das eines Skeletts. Dann
sehe ich, wie sie vom Bürgersteig auf die Straße wirbelt; sie schlendert zum
Fußgängerüberweg, dreht sich um und winkt mir noch einmal zu; ich blicke ins
Schaufenster und sehe, wie ich meinen Unterarm steif hochhebe, so, als wären
die Fäden, die mich zu meinen Bewegungen lenken, zu kurz oder
durcheinandergeraten.
    Dann gehe ich
ihr nach, tue so, als nähme ich ihr stolzes Hüftwackeln überhaupt nicht wahr.
Doch mir fällt auf, daß die Leute meine Knie anstarren, und als ich mich
hinunterbeuge, um die Fetzen an meiner Hose abzureißen, Blut und Kies
abzuwischen, verliere ich Lydia aus den Augen.
    [100]  Oh,
Mitleid und Trost. Es ist schon komisch; wenn einem ein wenig davon zuteil
wird, will man immer mehr.
    Denn ich ging
nach Hause zu Biggie und traf sie in gebeugter Haltung im Flur vor dem Bad an;
ihre Brüste baumelten lose unter meinem T-Shirt, und sie hatte sich in eine
meiner Jeans gezwängt, die ihr so eng war, daß sie den Reißverschluß nicht
zubekam. Colm saß zwischen uns im Flur und wollte gerade zwei Lastwagen
zusammenknallen lassen. Und Biggie, die einen kleinen Eimer mit
Ammoniakputzmittel aus dem Bad hievte, ertappte mich dabei, wie ich sie ansah,
als sei ich in diesem Augenblick von ihrer Stärke überwältigt,
sie darum anstarrte wie ein Tier, häßlich und furchterregend und fähig, mich
mit Haut und Haaren zu verschlingen.
    »Was glotzt du?
Ist was?« fragte sie mich.
    »Nichts, Big.«
Ich mußte an meinen eigenen Anblick im Schaufenster denken und konnte ihr nicht
in die Augen sehen.
    »Es tut mir
leid, wenn ich dir nicht schön genug bin«, schnaubte sie, und ich
zuckte zusammen. Sie kam auf mich zu, schob den Putzeimer mit dem Fuß vor sich
her;

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