Die wilde Jagd - Roman
»Du könnest für unsere Sicherheit sorgen.«
Teia befestigte den letzten Riemen und setzte sich auf die Fersen. Die eine Seite von Baers Gesicht lag im Schatten; die andere wurde vom Feuerschein hart hervorgehoben.
»Ich habe eine Aufgabe«, sagte sie müde. »Das Schicksal meines Clans hängt davon ab, vielleicht sogar das aller Clans. Ich habe die Gabe des Weissagens, Baer. Und ich habe es gesehen.«
»Was hast du gesehen?«
»Ein Gemetzel. Großes Blutvergießen. Die Wilde Jagd, wie sie über die Ebene tobt.« Sie schob ihre Satteltaschen von sich und war plötzlich so erschöpft, dass sie nicht mehr die Kraft aufbrachte, ihm zu misstrauen. Selbst die Verlorenen hatten es verdient, gewarnt zu werden.
»Das ist die Sache der Clans. Wenn sie dieses Schicksal selbst über sich gebracht haben, geht es uns nichts an. Als sie uns in die Verbannung geschickt haben, haben sie uns sehr deutlich gesagt, dass wir mit ihnen nichts mehr zu tun haben.«
»Nein, Baer, hör mir zu. Es wird eine Katastrophe kommen. Kein Clan ist sicher, kein Volk ist sicher, nicht einmal die Verbannten. Wenn dir die Menschen hier etwas bedeuten, dann solltest du sie nach Süden über das Gebirge führen. Geht so weit weg von hier wie möglich.«
Seine Lippen zuckten. »Ins Reich.«
»Die Eisenmänner haben der Wilden Jagd schon einmal widerstanden. Sie werden es wieder schaffen.«
»Bist du sicher, dass du das wirklich gesehen hast? Die Wilde Jagd …« Baer schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist doch eine Geschichte, die am Lagerfeuer erzählt wird, um die Kinder zu erschrecken. Wenn du bei den Verlorenen bleibst, wirst du lernen, dass es viel Schlimmeres als Kobolde und Gespenster gibt – deine Mitmenschen zum Beispiel.« Er drehte sich um und spuckte aus. »Zehn Jahre«, sagte er verbittert. »Zehn lange Winter habe ich in diesen Bergen wie ein Schakal gelebt und durfte nicht über die Ebene meiner Ahnen reiten. Und jetzt schlägst du mir vor, ich soll ins Reich fliehen, weil die Wilde Jagd kommen wird? Du verlangst zu viel von mir, Kind.« Er erhob sich wieder.
Ytha hatte sie zu oft herabgesetzt und Kind genannt, und so konnte sie es nicht mehr ertragen, es von einem Mann zu hören, der nichts über sie wusste. Der Kopf tat ihr weh, und ihre Geduld war am Ende. Teia stand ebenfalls auf und trat so nahe an Baer heran, dass er vor schierer Überraschung einen halben Schritt zurück machte.
»Mein Name ist Teia«, sagte sie, »und ich weiß genau, was ich gesehen habe. Ich habe die Beschwörung beobachtet. Ich habe gesehen, wie Maegern aus dem Feuer getreten ist, und ich habe sie reden hören. Ytha, die Sprecherin des Clans der Crainnh, will die Wilde Jagd rufen und sie dazu benutzen, die durch Gwlach verlorenen Ländereien zurückzufordern, aber sie wird der dunklen Göttin niemals ihren Willen aufzwingen können. Sobald Maegern in Freiheit ist, wird sie sich niemandem mehr beugen. Das habe ich gesehen.«
Mit beiden Händen schob sie ihre Kleidung am Hals herunter. Die Klauenmale des Hundes waren kaum verblasst; sie waren wie blaue Tätowierungen auf den Wölbungen ihrer Brüste. Baers steinschwarze Augen weiteten sich.
»Ihre Hundebestie hat mich gezeichnet, Baer. Ich spreche die Wahrheit. Schließe daraus, was du willst.«
Sie schritt an ihm vorbei und auf den Höhleneingang zu. In ihrem Kopf pochte es so heftig, dass sie kaum klar sehen konnte. Der Feuerschein war zu hell, und die Schatten waren zu dunkel, als dass sie die Gesichter hätte erkennen können, die sich ihr zudrehten, während das Wispern um sie herum anschwoll und wieder verebbte.
Bitterkeit stieg in ihrer Kehle auf. Teia schluckte sie herunter, aber es reichte nicht. Vor dem Eingang fiel sie im Schnee auf die Knie und erbrach die Suppe, die sie gegessen hatte, in einem einzigen stinkenden Schwall. Das Kind regte sich in ihr.
O Macha, mach mich zu einem Stein , betete sie. Mach mich zu einem Stein, der nichts fühlen und nicht weinen kann .
Sie schloss die Augen, doch die Bilder ihrer Vision traten deutlich und blutig hervor. Der Nachtwind berührte ihr Gesicht mit eiskalten Fingern, und sie entließ einen Seufzer in die Dunkelheit. Bitterer Speichel flutete ihren Mund. Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen; sie beugte sich vor und übergab sich noch einmal. Dabei fühlte sie eine Hand auf dem Rücken, und eine andere schob ihr die Haare aus dem Weg.
»Da hast du es, Mädchen.« Es war Neves Stimme, die auf grobe Weise besänftigend klang. »Hier,
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