Die wilde Jagd - Roman
wickelte sich wieder in ihre Decken. Sie hatte ihre Meinung gesagt.
Baer schüttelte den Kopf und schaute auf die schlafenden Gestalten seiner Gefährten. »Es gibt keinen unter uns, der nicht alles für eine Rückkehr in die Heimat geben würde«, sagte er. »Jeder wahre Krieger würde für die Aussicht sterben, sie zurückzugewinnen. Wenn eure Sprecherin nach so langer Zeit die Heimkehr verspricht, warum sollten wir sie daran hindern?«
»Sie hat keine Ahnung, was sie da entfesselt. Sie glaubt, sie kann die Wilde Jagd wie Hütehunde zurückpfeifen, wenn es nötig ist, aber das kann sie nicht.«
Er sah sie an. »Bist du dir ganz sicher?«
Teia dachte an Ytha und daran, wie sie Auge in Auge mit der Sprecherin ihres Clans gestanden hatte. Sie versuchte, bei dieser Erinnerung nicht zu zittern. »Als ich ihr widersprochen habe, hat sie Maegerns Hunden befohlen, mich zu töten. Aber sie haben sich geweigert. Sie gehorchen niemandem außer der dunklen Göttin. In meinen Träumen habe ich das Land in Blut und Flammen untergehen sehen, und Ytha hatte nicht die Macht, es zu verhindern.« Sie massierte sich den schmerzenden Kopf. »Ich sage die Wahrheit, Baer. Du musst mir nicht glauben. Ich erbitte nur von dir, mir meinen Proviant zurückzugeben, den ich für die Reise nach Süden brauche.«
Es entstand eine lange Pause. »Wann?«
»Beim Frühlingsvollmond. Drwyn wird die Kriegerscharen beim Auseinandergehen hinter sich sammeln und an ihrer Spitze mit Ytha und der Wilden Jagd reiten.«
Das verblüffte Baer zutiefst. »Der alte Drw ist hinübergegangen?«
»Letzten Herbst vor der Zusammenkunft. Drwyn ist schon seit Jahren Ythas Geschöpf, und sie will, dass er erreicht, was Gwlach nicht erreichen konnte. Spätestens beim Auseinandergehen wird er zum Häuptling der Häuptlinge ernannt werden.«
Er rieb sich das Kinn. »Das ist in weniger als einem Mond.« Er stand auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Schlafe jetzt, Teia. Wir reden morgen weiter.«
2 5
Von dem Vorsprung aus konnte sie fast den ganzen See von dem schäumenden, in Gischt gehüllten Wasserfall von Belaleithne bis zur Insel am anderen Ende überblicken, auf der Carantuil stand, dessen helle Mauern und indigoblaue Dachziegel in der Morgensonne glänzten. Das Wasser spiegelte den blauen Himmel und das Grün der umliegenden Hügel in einer Vollkommenheit wider, die Tanith das Gefühl verlieh, sie sei in eine Kristallkugel um eine der komplizierten farbigen Glasskulpturen herum getreten, für welche die Künstler der Westinseln zu Recht so berühmt waren.
Den Geschichten zufolge, die Taniths Vater ihr in ihrer Jugend erzählt hatte, weil sie etwas über ihr anderes Elternteil hatte erfahren wollen, war dies der Lieblingsplatz ihrer Mutter gewesen. Angeblich hatte sie stundenlang auf dem Moos unter den Birken gesessen und die wechselnden Stimmungen des Wassers in ihrem Skizzenbuch festgehalten. Wann immer der Druck der Regentschaft zu groß für sie geworden war, hatte sie hier eine Stunde verbracht, was ihr mehr Kraft geschenkt hatte als eine Meditation oder ein wenig Schlaf. In gewisser Weise war sie noch immer hier. Tanith spürte stets etwas vom Geist ihrer Mutter an diesem Ort, egal, wie viele Jahre seit ihrem Tod vergangen waren. Es war etwas, was nicht in dem schneeweißen Marmormausoleum beim Palast zu finden war, in dem ihr Leichnam ruhte.
Hallo, Mama , sagte sie zu der Luft und setzte sich auf einen Felsen. In ihrem bandagierten Fuß pochte es; sie war die halbe Meile von ihrem Haus bis hierher geritten, hatte ihr Pferd aber am Ende des steilen Pfades stehen lassen und war die letzten hundert Fuß durch den dichten Birkenhain zu Fuß gegangen. Nun hatte sie Schmerzen. Mit diesem tiefen Schnitt hätte sie zum Heiler gehen sollen, aber sie hatte sich selbst um die Wunde gekümmert und sie gesäubert, und nun sollte sie von allein verheilen. Der Schmerz war eine Erinnerung daran, vorsichtig zu sein, wohin sie trat – in mehrerlei Hinsicht.
Es tut mir leid, dass ich so lange weg gewesen bin. Ich habe fast jeden Tag versucht, mit dir zu sprechen, als ich auf den Inseln war. Ich hoffe, du konntest mich hören .
Die Birken um sie herum erzitterten in der Brise. Sie schaute hinunter auf das Büschel weißer Blumen in ihrer Hand und betastete die wächsernen Blütenblätter. In den Schattenflecken der Bäume wirkten sie so hell, dass sie beinahe zu schimmern schienen.
Ich habe dir ein paar Morgensternchen mitgebracht – ich weiß, wie sehr du
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