Die wilde Jagd - Roman
sie liebst . Die Blumen nickten, und sie fuhr fort: Ich habe dir so vieles zu erzählen, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll. Ich will dir alles über meine Ausbildung berichten und darüber, wie stolz ich war, als sie mir den Meistermantel umgelegt und mich gebeten haben, nach nur vier Jahren schon ihrer Fakultät beizutreten. Kannst du dir das vorstellen? Ich habe Unterricht gegeben!
Aber sie war nicht hergekommen, um das zu sagen, und sie konnte den leichten Plauderton nicht beibehalten, während so vieles andere sie bedrückte. Sie biss sich auf die Lippe und versuchte ihre Gedanken im Zaum zu halten, doch sie tobten herum wie Saelkies auf der Suche nach Süßigkeiten und weigerten sich, in irgendeine Art von Ordnung gebracht zu werden.
Jetzt bin ich wieder nach Hause gekommen. Ich musste es einfach tun. Es war Zeit, höchste Zeit. Ich … Mama, ich weiß nicht, was ich hier tun soll. Die Politik, der Kampf um Einfluss und Interessen … Ich habe versucht, es zu verstehen, das habe ich wirklich, aber ich habe kein Gespür dafür und war so lange weg vom Hof, dass ich alles vergessen habe, was Papa mir beizubringen versucht hat. Allerdings habe ich ihm nicht besonders eifrig zugehört , gestand sie verlegen und senkte den Kopf, obwohl niemand da war, der sie hätte sehen können. Sie drehte den Lieblingsring ihrer Mutter am Mittelfinger hin und her. Dort trug sie ihn, seit ihre Hand groß genug dafür war. Je älter ich geworden bin, desto mehr habe ich dich vermisst, aber ich bin froh, dass du nicht dabei warst. Ich glaube, Papa und du, ihr habt keinen Grund, stolz auf mich zu sein .
Sie hatte ihren Vater zur Verzweiflung gebracht. Im Alter von sechzehn Jahren hatte sie sich Hals über Kopf verliebt und nachts aus dem Haus geschlichen, damit sie bei ihrem Geliebten sein konnte. Sie hatte Texte und Traktate über Medizin und Chirurgie verschlungen, als sie eigentlich die Kunst des Regierens hätte erlernen sollen. Und sie war vor einem Leben davongelaufen, das sie als erstickend empfunden hatte, nur um fünf Jahre später unvorbereitet wieder zu ihm zurückzukehren.
Sie drehte die Morgensternchen zwischen ihren Fingern hin und her. Was für eine verfahrene Situation .
In sanftem Tadel schüttelten die Bäume ihre Kronen. Das Sonnenlicht berührte Taniths Gesicht durch die rauschenden Blätter, und eine Sekunde lang stellte sie sich vor, die Wärme sei eine Hand an ihrer Wange, während ihre Mutter ihr sagte, sie solle sich keine Sorgen machen, denn alles sei gut.
Wenn sie das nur glauben könnte.
Mama, ich fürchte, die Zehn wissen nicht, was sie von mir halten sollen. Ich habe in der Menschenwelt gelebt, seit ich knapp siebzehn Jahre alt war, und jetzt soll ich den Thron unseres Hauses einnehmen und vor die Zehn treten. Sie kennen mich nicht so, wie sie dich gekannt haben, und ich bin mir nicht sicher, ob sie mir vertrauen werden. Der ganze Aufruhr in der Welt ängstigt sie, und sie stehen kurz davor, sich vollständig hinter den Schleier zurückzuziehen. Ich habe keine Ahnung, wie ich sie davon überzeugen soll, dass ein Weglaufen vor den Schwierigkeiten keine Antwort ist .
Die Ironie in ihren Worten trieb ihr die bittere Galle in den Mund. Die goldenen Birkenblätter über ihr seufzten mitfühlend.
Aber da ist noch etwas. Ailric. Erinnerst du dich, dass ich dir schon einmal von ihm erzählt habe, bevor ich zu den Inseln gegangen bin? Er hat sich Papas Segen erbeten, wenn er um meine Hand anhalten will, aber ich kann ihn nicht heiraten, Mama. Er ist zu sehr wie sein Vater geworden, zu anmaßend und nur noch um sich selbst kreisend. Für ihn sind die Menschen kaum besser als Tiere. Ich glaube, er wäre am glücklichsten, wenn die Welt außerhalb von Astolar aufhören würde zu existieren .
Sie verstummte und lauschte dem fernen Murmeln des Wasserfalls und dem unheimlichen Ruf eines Tauchervogels irgendwo draußen auf dem See.
Ich glaube, die Westinseln hätten dir gefallen, Mama. Es ist wunderschön dort, und die Bewohner sind … Menschen. Die Menschen ähneln uns mehr, als uns bewusst ist. Ja, sie können zänkisch und stur sein, aber das sind wir auch manchmal, und ich habe unter ihnen genauso viel Weisheit und Edelmut gefunden wie bei den Besten von uns. Sie leiden an den gleichen Gebrechen wie wir, sie bringen ihre Kinder auf die gleiche Weise zur Welt – ich sollte es wissen, denn ich war bei mehr als einem Dutzend Geburten dabei! Bei etwas Lustigem lachen sie, und sie weinen, wenn sie
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