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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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traurig sind, und manchmal lachen sie, wenn sie eigentlich weinen sollten. Sie ziehen andere sich selbst vor und stecken Prügel für sie ein, und irgendwie finden sie den Mut, weiterzumachen, auch wenn es ihnen das Herz bricht .
    Tanith bemerkte, dass sie nicht mehr von der Menschheit als Ganzem, sondern von einer bestimmten Person sprach und biss sich auf die Lippe. Sie hatte gesehen, wie Gair das Herz gebrochen war, doch es war ihr unmöglich gewesen, etwas dagegen zu tun. Trotz ihrer ärztlichen Ausbildung hatte sie den Teil von ihm, der mit der Frau in seinen Armen gestorben war, nicht retten können. Sie schloss die Augen, und die Narbe an ihrem Unterarm brannte. O Geister!
    Es tut mir leid, dass ich nicht lange hierbleiben kann, Mama. Ich muss mich heute bei Hofe als Inhaberin des Thrones vorstellen und mich noch vorbereiten. Ich werde später zurückkommen und dir alles berichten. Das verspreche ich dir .
    Vorsichtig humpelte sie zum Rande des Vorsprungs, hob die Morgensternchen an ihr Gesicht und atmete deren zarten Duft ein letztes Mal ein. Er erinnerte sie so stark an das Parfüm ihrer Mutter, dass ihre Hand erbebte.
    »Ich vermisse dich, Mama«, flüsterte sie und warf die Blumen in den See.
    Der Großherr Elindorien seufzte.
    »Wie sehr ich wünschte, dass deine Mutter hier wäre. Nicht ich, sondern sie sollte dieses Gespräch führen«, murmelte er und rieb sich die Stirn. »Du bist die einzige Tochter eines adligen Hauses, Tanith. Du bist die Erbin des ältesten unserer Reiche. Manchmal haben wir nicht den Luxus einer Wahl.«
    Sie starrte ihn an. »Willst du mir damit befehlen, dass ich ihn heiraten soll?«
    Ihr Vater schenkte ihr ein trauriges Lächeln. »Ich würde niemals versuchen, dir etwas zu befehlen, meine Tochter. Aber die Zeit schreitet voran, und du hast das Alter, in dem eine Heirat üblich ist, bereits hinter dir gelassen. Ailrics Angebot ist gut. Das Haus Vairene ist ausgezeichnet, und er schätzt dich sehr.«
    Sie lief wieder auf und ab; es gelang ihr einfach nicht, ruhig zu bleiben. Selbst das schmerzhafte Pochen in ihrem bandagierten Fuß hielt sie nicht davon ab. »Ich werde es nicht tun.«
    »Aber warum denn nicht?« Eine Spur von Verärgerung lag in der Stimme ihres Vaters. »Du und Ailric standet euch doch einmal sehr nahe. Bestimmt kannst du diese Nähe wiederherstellen.«
    »Wir passen nicht gut zusammen.« Nicht mehr .
    Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist der Leahner, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Er ist nichts für dich, Tanith.«
    »Das war er nie.« Sie lief hin und her auf dem hellen Teppich, und der Rock flatterte ihr um die Beine. »Gair hat mit meiner Entscheidung nichts zu tun.«
    »Warum willst du dann Ailric nicht zum Gemahl nehmen? Seine Hochachtung für dich sagt mir, dass er dir ein treuer und standhafter Ehemann sein wird, und er ist in deinem Alter.«
    »Und vermutlich wird kein anderer Mann mehr um meine Hand anhalten, oder?«
    »Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte ihr Vater in einem Tonfall, der ihr verriet, dass es genau das war, was er dachte. »Unsere Art schwindet dahin, Tochter, und mit jedem Jahr werden wir weniger fruchtbar. Jetzt ist die Zeit der Ernte.«
    »Ernte?« Sie hätte beinahe laut aufgelacht. »Sei doch nicht so zimperlich, Vater. Wir sind Tiere und unterscheiden uns nicht von den Pferden oder dem Nutzvieh auf unseren Feldern. Du willst, dass ich werfe.«
    Der Großherr Elindorien rümpfte die Nase über ihre Wortwahl. »Musst du es unbedingt so grob ausdrücken?«
    »Das ist es doch, was du gemeint hast.«
    Er seufzte. »Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Linie ausstirbt, Tanith. Es muss immer zehn Häuser geben.« Nun klang ihr Vater, der so selten Gefühle zeigte, streng, müde und sogar ein wenig verängstigt. »Wenn du mit Ailric an deiner Seite vor die Zehn trittst, wird es sie milder stimmen. Vielleicht verschafft es dir sogar Morwennas Unterstützung bei der Abstimmung, denn schließlich war Ailric schon immer ihr Lieblingsenkel. Wenn du dir jedoch das Haus Vairene zum Feind machst, könnte deine eigene Zeit der Herrschaft sehr schwierig werden. Du brauchst Verbündete unter den Zehn und keine Feinde – insbesondere jetzt, da der Hof so gespalten ist.«
    »Ich weiß. Du hast mir Barthalus’ Abhandlungen über die Regierungskunst zu lesen gegeben, als ich zehn Jahre alt war.« Sogar damals schon hatte sie wissen sollen, was es bedeutete, eine Tochter des Weißen Hofes zu sein.
    Er umrundete den Tisch, legte ihr die

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