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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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würde, dass es nirgendwo mehr Sicherheit geben würde, wenn der Schleier fiel?
    In dem Saal mit dem hohen Deckengewölbe und dem kostbaren Mosaikboden stritt Denellin noch immer für völlige Abschottung, und die Anzahl der Köpfe, die zustimmend nickten, entsetzte sie. Vier würden für eine Isolation Astolars stimmen, hatte ihr Vater gesagt. Nun waren es offenbar bereits sechs.
    »Zusammenfassend gesagt, scheint es vernünftig, wenn wir unsere Grenzen schließen und uns so vor den Unruhen schützen, die im Menschenreich um sich greifen. Im letzten Jahr gab es in Yelda einen Aufstand, und in diesem Jahr haben sich Glaubenskämpfe in der Wüste zugetragen. Wir leben in unruhigen Zeiten, Eure Majestät, und wir täten gut daran, uns von den Menschen abzusondern.«
    Zustimmendes Gemurmel folgte ihm vom Rednerkreis in der Mitte bis zurück zu seinem Sitz. Dass Berec einer derjenigen war, die ihm zustimmten, hatte sie vorhergesehen. Die Zeit hatte tiefe Rinnen in sein Gesicht gegraben, und die Haare, die ihm bis auf die Schultern seiner granatroten Robe fielen, waren so durchscheinend wie Spinnenseide. Aber auch Taren Odessil? Und das Haus Vairene?
    Nun war die Gelegenheit gekommen, zur Einigkeit statt zur Teilung aufzurufen, zur entschlossenen Verteidigung statt zum bloßen Eigennutz. Mit klopfendem Herzen erhob sich Tanith.
    Der Kanzler, der auf dem zwölften Stuhl der Königin gegenübersaß, nickte Tanith zu. »Der Hof erteilt dem Hause Elindorien das Wort.«
    Sie ging in den Kreis und hielt dabei ihre Röcke gerafft, damit niemand sah, wie ihre Hände zitterten. Als Tochter des Weißen Hofes hatte sie die Pflicht, zum Besten des Königreiches zu sprechen, so wie sie es bereits am Morgen getan hatte, aber man hatte ihr nicht zugehört. Wenn sie nun nichts sagte, wäre es zu spät; sie würden für die Abschottung stimmen und sich in ihren Marmorhallen verbergen, während die Welt um sie herum auseinanderfiel. Und wenn ihre eigenen Mauern zerbrachen, würden sie sich umsehen und niemanden mehr finden, der ihnen helfen konnte.
    »Majestät, bitte erlaubt mir die Kühnheit, zu betonen, dass Denellin einen wesentlichen Punkt übersieht. Das menschliche Reich, auf das er sich bezieht, ist auch unser Reich. Wir sind ein Teil von ihm, sowohl aufgrund eines förmlichen Vertrages als auch durch die Tradition seit unvordenklicher Zeit. Wir treiben auf den Märkten der Menschen Handel, wir lehren an ihren Universitäten; ihre Sorgen sind unsere Sorgen. Wir können uns nicht isolieren, wie er es vorschlägt, ohne damit gleichzeitig unsere Bande zu dem Reich zu durchtrennen.«
    Tanith sah sich in dem Saal um und betrachtete die Männer und Frauen der Zehn in ihren Hausfarben unter den Samtbannern. Goldene und silberne Fäden glitzerten im Sonnenschein, der durch die filigrane Kuppel hereindrang.
    »Mein Vater erinnert mich oft und gern daran, dass wir kein kriegerisches Volk sind. Wir sind ein Volk der Bündnisse und des ausgehandelten Friedens, so wie wir es uns in diesem Saal vor vielen Jahrhunderten geschworen haben. Wollt Ihr, dass sich Astolar vom Reich trennt und diese Eide bricht?«
    Graue Häupter wurden ernst geschüttelt und neigten sich dem Nachbarn zu; das Gemurmel war so leise, dass sie es nicht verstehen konnte. Sie war mindestens dreißig Jahre jünger als die anderen im Saal. Viele von den Zehn waren schon alt gewesen, als ihre Mutter den Thron ihres Hauses bestiegen hatte. Berec hatte Spielzeug für sie gebastelt, als sie noch ein Kind gewesen war! Wie viele Mitglieder des Hofes mochten sie noch immer als jenes Kind ansehen, das in dem leeren Saal Königin gespielt hatte und mit ihrem hölzernen Pferd durch den Rednerkreis geritten war? Vielleicht hatte ihr Vater doch recht gehabt, und Ailrics Gegenwart hätte ihrer Stimme ein gewisses Gewicht verliehen. Aber nun war es zu spät, um darüber nachzudenken.
    »Noch wichtiger ist aber, dass der Schleier, der unsere Welt schützt, zu fallen droht. Schlimmer noch, ein Geistplünderer streift umher, der die Macht hat, ein Loch in ihn zu reißen, und wenn er nicht aufgehalten wird, könnte er den gesamten Schleier vernichten. Und ohne ihn gibt es nichts, was uns vor den dunklen Mächten schützen kann. Das Verborgene Königreich wird offen stehen, und seine Bewohner werden frei in der Welt des Tages umherstreifen können. Wir müssen etwas gegen diesen Geistplünderer unternehmen, denn sonst werden wir uns bald schlimmeren Gefahren als aufständischen Schülern

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