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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Taniths Mund: »Aber der Schleier …«
    »Tochter, der Schleier ist noch immer genauso stark, wie er immer war. Ich habe ihn selbst überprüft.«
    Die Hoffnung, die Tanith auf die Königin gesetzt hatte, verblasste. Sie unterdrückte ihre Enttäuschung, bevor sie sich auf ihrem Gesicht zeigte, und fragte: »Und was ist mit dem Geistplünderer?«
    »Du hast gesagt, er sei ein Mensch? Menschen besitzen schon seit tausend Jahren nicht mehr die Macht, den Schleier zu zerreißen – nicht mehr, seit die nördlichen Clans besiegt und zerstreut wurden und ihr Talisman verlorenging. Der Schaden, den er anrichten kann, ist unbedeutend im Vergleich zur Zukunft unseres Volkes. Deines Volkes«, fügte Emelia mit noch mehr Stahl in der Stimme hinzu. »Die Menschen müssen selbst beheben, was sie angerichtet haben.«
    Sie setzte sich zurück, und das Licht aus den Kristallen in ihrem Haar glitzerte auf dem Boden.
    Tanith sah sich noch einmal in dem Saal um. Berec und Denellin, die keine eigenen Töchter hatten und deren Enkel noch kaum dem Säuglingsalter entwachsen waren, erwiderten ihren Blick leidenschaftslos. Taren, dessen Söhne bisher keine Nachkommen gezeugt hatten, sah an ihr vorbei. Ebenso der Regent des Hauses Nevessin, ein Witwer, dessen Stammbaum so verworren war, dass es den Kanzler ein ganzes Lebensalter kosten würde, seine rechtmäßige Erbin zu finden. Der Abgesandte des Hauses Ione versuchte erst gar nicht, sie anzusehen, genau wie die anderen außer Morwenna, der Throninhaberin von Ailrics Haus auf dem letzten Sitz. Sie war die einzige andere Frau unter den Zehn und beinahe genauso alt wie Emelia. Sie schenkte Tanith den traurigen Schatten eines Lächelns und schüttelte den Kopf.
    Tanith holte tief Luft und stellte überrascht fest, dass sie nicht mehr zitterte. Es war vorbei. Aber wenigstens hatte sie gekämpft.
    »Majestät.« Sie verneigte sich tief. »Regenten des Hofes. Ich danke Euch für Eure Nachsicht, mit der Ihr mich angehört habt. Ich bedauere nur, dass Eigensucht und Engstirnigkeit Euch den Blick auf die Gefahren verstellen, die vor Euch liegen. Aber vielleicht werdet Ihr meine Worte noch einmal überdenken, bevor es für uns alle zu spät ist.«
    Sie wandte den erbosten Rufen den Rücken zu, verließ aufrecht den Rednerkreis, ging aber nicht zu ihrem Sitz zurück, sondern zu der großen zweiflügeligen Tür hinter dem Kanzler. Es hatte keinen Sinn zu bleiben; sie würde nicht mehr angehört werden, egal was sie sagte. Sie schritt durch die Tür und über den Marmorboden, der vom Sonnenlicht überflutetet war, das sich heute so kalt anfühlte. Sie ging an verblüfften Hofbeamten und dösenden Herolden vorbei. Sie stieg die Palasttreppe hinunter, und ihre Schritte wurden schneller, bis sie die Röcke raffte und über den vermoosten Rasen rannte. Sie lief zurück zur heiteren Ruhe ihres Hauses, warf die Tür hinter sich zu, fiel auf die Knie und weinte.
    Die Sonne ging schon unter, als ihr Vater zu ihr kam. Tanith hörte, wie er die Tür schloss; sie hörte, wie er im Gang innehielt, denn nun hatte er sicherlich die gepackten Satteltaschen und den guten warmen Umhang bemerkt, der gefaltet über ihrer ledernen Reithose lag. Bogen und Köcher lehnten an der Wand.
    Sie schlang die Arme enger um sich und schaute hinaus auf den See, der vom Sonnenuntergang vergoldet wurde. Sie würde nicht wieder weinen. Sie hatte sich ausgeweint.
    »Tanith?«
    Als sie nicht antwortete, kam er näher. Der Klang seiner Schritte veränderte sich, als er auf die Terrasse trat und dann stehen blieb.
    »Tochter?«
    Draußen auf dem See steckte ein Saelkie den Kopf aus dem Wasser und tauchte wieder unter, ohne die Oberfläche aufzuwühlen, die wie geschmolzenes Gold wirkte. Der Schmerz des Verlustes fuhr ihr mitten ins Herz. Wenn der Schleier fiel, würden auch die Saelkies nicht mehr sicher sein.
    »Sie wollten nicht auf mich hören, Papa. Sie haben mir zwar zugehört, aber sie haben nicht auf mich gehört.«
    »Das ist mir schon bekannt«, sagte er und verzog das Gesicht. »Du hast einen ziemlichen Aufruhr ausgelöst. Als ich sagte, du wirst den Hof bis ins Fundament erschüttern, hatte ich nicht erwartet, dass du es schon bei deiner Vorstellung schaffst.«
    »Welche bessere Zeit hätte es dafür gegeben? Fange so an, wie du weitermachen willst, das ist der sicherste Weg zum Erfolg.« Ihr Mund verzerrte sich vor Verbitterung, und sie schloss ihn und blinzelte die trügerische Feuchte aus den Augen. Sie würde nicht

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