Die wilde Jagd - Roman
verschloss, wurde das Bild beständiger. Sie sah die rauchende Feuerstelle, die Zelte dahinter, die Bäume an den Hängen des Tals und stellte sich vor, auf sie zuzuwandern.
Das Bild im Wasser veränderte sich und zeigte den Pfad in ihren Gedanken. Es ging zwischen den Bäumen hindurch, wo der Schnee nicht so hoch lag, dann an der Bergflanke vorbei und langsam hinauf. Sie wagte, etwas schneller zu werden. Nun war sie ein Vogel, schwebte über den Baumkronen und sah den Wald dünner werden, während das Land anstieg und die Wolken von oben herabdrückten.
Ihre Schläfen pochten, und sie bemerkte, dass sie den Atem anhielt. Als sie ausatmete, verschwamm das Bild, dann wurde es plötzlich grau. Teia zwang sich, tief und langsam zu atmen. Nun wurde ihr Geistflug gleichmäßiger, und sie kam wieder aus den Wolken hervor. Das war besser.
Jetzt wurde das Tal schmaler, als die beiden Bergflanken zusammenliefen, und sie flog über einen windumtosten Vorsprung, der zu den verborgenen Gipfeln hochführte. Hier fiel dichter Schnee und nahm ihr die Sicht, als er von einer Brise vor ihr hergetrieben wurde. Ihr wurde schwindlig, und sie musste das Bild loslassen.
»Es tut mir leid«, keuchte sie, als sie die Schüssel packte und das Wasser darin schwappte.
Baer sagte nichts, und sie hob den Blick. Ein halbes Dutzend der Verlorenen stand um ihr Feuer herum und starrte auf die verblassenden Bilder im Wasser: Isaak mit Lenna an seinem Arm, Neve, die einen Löffel in der Hand hielt, von dem Haferbrei in den Schnee zu ihren Füßen tropfte, und ein paar Männer, die sie nicht kannte.
Einer nach dem anderen sah sie an. Sie schluckte; diese Aufmerksamkeit war ihr unangenehm. Ein kaltes, klammes Gefühl breitete sich entlang ihres Rückgrats aus, und Schweiß trat auf ihre Handflächen.
»Eine Banfaíth«, flüsterte jemand. Sie konnte nicht erkennen, wer es war. Mit ihren schlaffen Lippen und totengleichen Gesichtern hätten sie es alle gewesen sein können. Teia wurde ein wenig übel, und sie wischte sich die Hände nervös an ihrer Reithose ab.
»Das war nur ein Bild, das den vor uns liegenden Weg zeigt«, sagte sie, aber sie bemerkte an ihren Gesichtern mit den weit aufgerissenen Augen, dass sie ihr nicht zugehört hatten. Es war gleichgültig, was sie sagte.
»Sie sieht …« Einer der Männer, ein drahtiger Mann mit einem blutigen Riss im Ärmel seines Mantels, wandte den Blick mühsam von Teia ab und sah Isaak und Lenna an, die sich hinter der Schulter ihres Mannes verborgen hatte und ängstlich hinter ihm hervorspähte wie eine Feldmaus aus ihrem Nest. »Also ist es wahr«, keuchte er. »Eine Banfaíth.«
Niemand sonst sagte etwas. Niemand bewegte sich. Auf der anderen Seite des Lagers arbeiteten die übrigen Verlorenen weiter, ohne zu wissen, was geschehen war, doch selbst die Geräusche, die sie verursachten, klangen gedämpft und wurden verschluckt von der atemlosen Stille, die von Teia ausging.
Sie biss sich auf die Zunge. Bei Machas Ohren, was hatte sie getan?
Banfaíth war ein alter Titel, vielleicht sogar noch älter als jener der Sprecherin. Er wurde für jemanden benutzt, der die Gabe der Weissagung besaß. Die älteren Leute nannten es das Zweite Gesicht .
»Habe ich es dir nicht gesagt, Baer?«, meinte Neve und durchbrach damit die Stille des Augenblicks so vollständig, dass Teia fast glaubte, sie wie Glas zerspringen zu hören. Alle fuhren zusammen und sahen sie an. »Frauen wissen so etwas.« Sie steckte sich den Löffel in den Mund und leckte den verbliebenen Haferbrei ab, nickte zufrieden und ging zurück zu ihrem Kochtopf.
Baer setzte seinen Teebecher ab und erhob sich. »Ja. Das hast du gesagt.« Er klatschte so heftig in die Hände, dass Lenna aufkreischte. »Genug gestaunt«, verkündete er etwas lauter als nötig. »Wir haben noch einen langen Aufstieg zu bewältigen, und vor uns liegt viel Schnee, also sollten wir uns sputen.« Die anderen bewegten sich träge, als ob sie am Boden festgefroren wären. Baer machte eine gereizte Geste. »Na los! Die Zelte müssen abgebaut und das Gepäck zusammengeschnürt werden, und ich werde das nicht für euch machen.«
Sie schlichen davon und warfen immer wieder rasche Blicke über die Schulter. Teia konnte es nicht ertragen und starrte unverwandt die Wasserschüssel an. Immer wieder rieb sie sich die Hände an dem Stoff ihrer Hose ab, obwohl der Schweiß schon lange getrocknet war. Sie konnte einfach nicht damit aufhören.
»Das hast du noch nie jemandem
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