Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
große Willenskraft, die Finger zu lockern, und noch größere Anstrengung, sie bei sich zu behalten und nicht die Regale von all diesem nutzlosen Papier zu säubern und …
    Gair schloss die Augen, atmete langsam ein und noch langsamer aus. Und noch einmal. Das Donnern des Pulses in seinen Ohren wurde allmählich leiser.
    Die Regale neben der Tür auf der anderen Seite des Raumes waren leer und warteten darauf, wieder bestückt zu werden. Er fuhr mit den Fingerspitzen an einem von ihnen entlang. Obwohl sie abgestaubt waren, zeigten sie noch die geisterhaften Umrisse der Bücher, die so lange Zeit ungestört auf ihnen geruht hatten.
    Ich hätte niemals herkommen dürfen . »Hier ist nichts, Alderan. Es kann nichts hier sein. Sonst hätten wir es doch sicherlich schon gefunden, oder?«
    Der alte Mann schaute von den Büchern auf, die er zu einzelnen Stapeln sortierte. »Vielleicht hast du recht. Aber wir können es nicht mit Sicherheit wissen, bevor wir nicht nachgesehen haben.« Er hob den höchsten Stapel an. »Dies sind alles religiöse Texte. Warum fängst du nicht damit an, das oberste Regal wieder zu füllen?«
    »Wir verschwenden hier unsere Zeit!«
    Alderan machte ein gleichmütiges Gesicht und hielt die Bücher wie ein Geschenk vor sich. Gair packte sie unbeholfen, und das oberste Buch fiel zu Boden. Erst nachdem er die anderen eingeräumt hatte, bückte er sich und hob es auf.
    Es war ein Psalter, dessen Titelblatt aufgeschlagen war. Ein Name und ein Datum waren in verblasster Tinte auf das Vorsatzblatt geschrieben. Vermutlich benannte es den Tag, an dem der Eigentümer seine Sporen erworben hatte, und das Buch war sicherlich das Geschenk liebender Eltern. Gair warf einen eingehenderen Blick auf das Datum. Drei Jahre, bevor Corlainn sich für seinen geliebten Orden geopfert hatte. Er schloss das Buch und stellte es zu den anderen auf das Regal. Ein dunkler Fleck im unteren Bereich des hellen Lederrückens verriet nichts Gutes über das Schicksal des unbekannten Ritters.
    Er war vielleicht nur ein oder zwei Jahre älter als ich. Hat sich seine Mutter gefragt, was wohl mit ihrem Jungen passiert ist? Er verspürte einen kurzen Stich. Fragt sich meine das auch?
    Es klopfte an der Tür, und eine tamasische Schwester trat ein. Sie hatte die Kapuze weit ins Gesicht gezogen und hielt den Kopf gesenkt, während sie eine Teekanne und zwei Becher auf einem Tablett zum Tisch trug.
    »Das ist sehr aufmerksam, Schwester. Vielen Dank«, sagte Alderan vom anderen Ende des Zimmers.
    Sie stellte das Tablett ab und drehte sich zur Tür. Dabei fing ihr Gesicht das Sonnenlicht ein, das durch eines der hohen, schmalen Fenster fiel. Feuerrotes Narbengewebe glänzte auf ihrer zimtbraunen Haut.
    »Schwester?« Gair ging auf sie zu. »Bist du verletzt? Was ist passiert?«
    Die Nonne zog sich zurück und schüttelte stumm den Kopf. Er hob die Hand an den Saum ihrer Kapuze, und sofort zuckte sie zusammen und wich in den Türrahmen zurück. Dann drehte sie sich um und lief davon. Ihre Sandalen klapperten hastig über den Boden des Korridors.
    »Ihr Gesicht!« Gair wandte sich an Alderan, der regungslos mit einem weiteren Bücherstapel dastand. »Habt Ihr ihr Gesicht gesehen?«
    »Ich habe es gesehen.« Er hielt ihm die Bücher entgegen. »Medizinische Werke.«
    »Ist Euch etwa egal, was mit ihr passiert ist und wer ihr das angetan hat?«
    »Es ist mir nicht egal, aber wir können es nicht mehr ungeschehen machen. Doch hiermit«, er deutete auf die Bücher, »kann ich etwas tun und vielleicht zahllose Leben retten.«
    »Aber sie ist verunstaltet worden! Eine Ordensschwester!«
    »Glaub mir, es wird sich noch viel Schlimmeres ereignen, sobald der Schleier fällt.« Alderan warf die Bücher auf den Tisch, wobei eine Staubwolke aufstieg und stemmte die Hände in die Hüften. Seine blauen Augen wirkten so hart wie Glas. »Wem soll ich helfen, Gair? Der einen oder den vielen? Der Sand rinnt durch das Stundenglas. Warum sagst du mir nicht, wie ich die noch verbleibende Zeit nutzen soll?«
    Gair wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Alderan hatte recht. Wie ein Heiler auf dem Schlachtfeld musste er dort tätig werden, wo die beste Aussicht darauf bestand, Leben zu retten. Alles andere war verschwendete Mühe. Benommen packte er den Bücherstapel und trug ihn zum Regal. Schock und Verzweiflung hockten unangenehm in seinem Bauch. Seine Hände arbeiteten mechanisch und stellten die Bücher zurück ins Regal, während er nichts anderes sah

Weitere Kostenlose Bücher